Die tragische Karriere des Shawn Rhoden

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2018 hatte Shawn Rhoden den Höhepunkt seiner Karriere erreicht: Er besiegte in Las Vegas den siebenfachen und amtierenden Mr. Olympia Phil Heath und holte sich den bedeutendsten Titel im professionellen Bodybuilding. Doch sollte dieser Erfolg nur von kurzer Dauer sein und letztlich ein tragisches Ende nehmen.

Eine Karriere mit Licht und Schatten: Las Vegas, 15. September 2018

Überwältigt von seinen Gefühlen herzt Shawn Rhoden nach seinem Sieg beim Mr. Olympia auf der Bühne seine kleine Tochter, um danach fast ungläubig die Sandow-Statue zu küssen und in die Höhe zu reißen. An diesem Abend ist Shawn auf dem Gipfel seiner Karriere angekommen. Er hat geschafft, was kaum einer für möglich gehalten hatte: Er besiegte Phil Heath und stürzte den siebenmaligen Champion vom Thron des professionellen Bodybuildings. Es war ein später Triumph: Am Abend seines größten Erfolges war Shawn mit 43 Jahren schon im fortgeschrittenen Bodybuildingalter. Und doch gab es an diesem Wochenende wenig Zweifel, dass Shawn diesen Sport würde einige Jahre dominieren können. Dass seine Linie zu den besten der gesamten Pro League gehörte, darüber gab es ohnehin keine Zweifel, doch diesmal führte er alles zusammen: Die Form war auf den Punkt, seine häufig als etwas „schläfrig“ kritisierte Präsentation war deutlich wacher. Shawn war on point und es war zu erwarten, dass ihm nach vielen Rückschlägen einige goldene Jahre bevorstehen würden.

Kindheit und Jungend

Shawn Rhoden wurde am 2. April 1975 in Kingston (Jamaika) geboren. Der athletische Junge entdeckte früh seine Liebe zum Fußball und Cricket. Im Alter von 15 zog er mit seiner Familie in die USA, zwei Jahre später betrat er erstmals ein Gym und begann, seinen Körper nach seinen Wünschen und Vorstellungen zu formen. Dort traf er auf den erfolgreichen Bodybuilder und Mr. Universe Yohhnie Shambouger, der ihn dazu motivierte, Wettkämpfe zu bestreiten. Trotz einer Handverletzung, die ihn zurückwarf, arbeitete Shawn hochmotiviert an seinem Körper und fokussierte sich voll und ganz auf sein Ziel, einmal professioneller Bodybuilder zu werden.

Erste Wettkampferfahrungen

1996 bestritt Shawn unter der Anleitung von Yohhnie Shambouger seinen ersten Wettkampf, die NPC National Eastern Classic in New Jersey, und konnte gleich einen Sieg mit nach Hause nehmen. Doch die Freude über seinen Triumph war nur von kurzer Dauer: Später im Jahr zog er sich eine Rückenverletzung zu und musste für sechs Monate das Training aussetzen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, 1997 erneut zu starten, diesmal bei der NPC Mid-Atlantic National Bodybuilding Championships. Den Sieg im Gesamtsiegerstechen verpasste er knapp, wurde aber mit dem Pokal für den besten Poser belohnt. Es folgten drei Teilnahmen an der NPC Team Universe Championships in den Jahren 1999 bis 2001, bei denen Shawn einen dritten, einen zweiten und einen vierten Platz holte.

Der Absturz

2002 starb Shawns Vater nach einem langen und qualvollen Kampf an Lungenkrebs. Dieser Schicksalsschlag traf Shawn schwer und er versuchte sein Leid mit Alkohol zu lindern. Es dauerte nicht lange und Shawn war hochgradig alkoholabhängig. Er vernachlässigte sein Training und verschwand für insgesamt sechs Jahre von der Bildfläche.

Sensationelles Comeback

Shawns Glück war, dass er gute Freunde hatte, die sich um ihn kümmerten und so gelang es ihnen, Shawn zu einer Therapie zu überreden, die er auch erfolgreich bewältigte. Kaum genesen, erwachte seine Liebe zum Bodybuilding wieder und Shawn begann sich auf seinen nächsten Wettkampf vorzubereiten. Nach einem Sieg bei der 2009 NPC Delaware Open reiste Shawn zur 2009 IFBB North American Championships und holte sich auch hier den Sieg und damit die Pro Card.

Niemals aufgeben

Ein Jahr später bestritt Shawn seinen ersten Profiwettkampf: die Dallas Europa Super Show. Doch hier musste er eine herbe Enttäuschung verkraften: Mit dem 16. Platz holte er die schlechteste Platzierung, die er jemals in seiner Karriere einfahren sollte. Doch Shawn ließ sich hiervon nicht entmutigen und nahm diesen Nackenschlag zur Motivation, noch härter an sich zu arbeiten. Mit Erfolg: Nur ein Jahr später betrat er erneut die Bühne in Dallas, doch das Paket, das er zeigte, hatte mit dem des Vorjahres kaum noch etwas gemein. Extrem verbessert holte sich Shawn einen absolut verdienten dritten Platz und damit die Qualifikation zum Mr. Olympia.

Steiler Aufstieg

Bei seiner ersten Teilnahme am Mr. Olympia reichte es für den 11. Platz. Im folgenden Jahr nahm Shawn an unglaublichen neun Wettkämpfen statt, drei davon konnte er für sich entscheiden: die Tampa Pro, die Dallas Europa Super Show und den British Grand Prix. Dazu kamen weitere Topplatzierungen wie der zweite Platz bei der EVLS Prague Pro und dem sensationellen dritten Platz beim Mr. Olympia hinter Phil Heath und Kai Greene.

In der Weltspitze

Mit diesen Erfolgen hatte sich Shawn fest in der Weltspitze etabliert. In den folgenden Jahren holte er noch einige Siege und war fester Bestandteil des Finales beim Mr. Olympia. 2016 schien es bereits fast soweit: Shawn nötigte Phil Heath alles ab, der sich am Ende aber doch knapp durchsetzen konnte. 2017 hingegen verpasste Shawn die Form und wurde enttäuschend Fünfter. Nicht wenige schrieben ihn damit ab, trauten ihm nicht zu, noch einmal verbessert zurückzukommen. Doch Shawn sollte sie Lügen strafen.

Mr. Olympia

Sein grandioser Sieg gegen Phil beim Mr. Olympia 2018 hob Shawn auf eine Erfolgswelle. Alle rissen sich um ihn: Sponsoren, Medien, Fans. Es schien, als solle nach so vielen Jahren und so vielen Rückschlägen endlich die Zeit des Shawn Rhoden angebrochen sein.

Salt Lake City, 12. Oktober 2018

Nur wenige Tage nach seinem größten Triumph soll Shawn, so die Anklage, in einem Hotelzimmer in Utah eine von ihm betreute Athletin sexuell missbraucht haben. Sie berichtete, dass Shawn sie körperlich bedrängt habe und erst von ihr abließ, als sie ihm erklärte, dass ein Bekannter in der Lobby auf sie warten würde. Neben der Zeugenaussage wurden DNA-Spuren sichergestellt. Über ein halbes Jahr später, am 11. Juli 2019 wurde daher ein Haftbefehl gegen Shawn wegen Vergewaltigung, Vergewaltigung mit Fremdgegenstand und gewaltsamem sexuellem Missbrauch erlassen und eine Kaution von 750.000 Dollar festgelegt. Die folgenden Wochen verbrachte er in Haft.

Eine Welt bricht zusammen

Wenngleich Shawn zwei Lügendetektortests bestand und schnell bekannt wurde, dass es sich bei dem vermeintlichen Opfer um eine bekannte und verurteilte Betrügerin handelte, stand Shawns Karriere vor dem Ende. Seine Sponsoren wandten sich ab, genauso der damalige damalige Promotor des Mr. Olympia, American Media LLC. Nur einen Tag nach der Bekanntgabe des Haftbefehls wurde eine Pressemeldung veröffentlicht, in der man erklärte, Shawn sei für den kommenden und alle zukünftigen Mr. Olympia-Wettkämpfe gesperrt. Auch werde man bis zum Ende des Gerichtsverfahrens jegliche Berichterstattung über den amtierenden Champion aussetzen.

Kein Happy End für Shawn Rhoden

Was genau in diesem Hotelzimmer passierte, das wird wohl nie geklärt werden können, denn Shawns Tod kam dem Abschluss der Verhandlung zuvor. Sicher ist aber, dass an diesem Tag Shawns Karriere als professioneller Bodybuilder endete. Nie wieder stand er als Teilnehmer auf einer Wettkampfbühne. Ebenso spekulativ ist, was diese Situation mit Shawn machte. Es gibt Gerüchte über einen Rückfall in die Alkoholsucht, über Drogen- und Medikamentenmissbrauch. Dazu kam wohl, dass Shawn trotz aller Sorgen und Ängste versuchte, zumindest seinen Körper auf Toplevel zu konservieren, was zwangsläufig die Einnahme einer nicht geringen Menge verschiedenster Substanzen wie anabole Steroide und anderer Hormonpräparate mit sich bringt. Auch die Liebe zu seiner sechsjährigen Tochter, die er nur wenige Tage vor seinem Tod auf Instagram noch einmal in Worte fasste, reichte wohl nicht aus, um ihm die Kraft zu geben, diese schwere Situation zu überstehen.

Gebrochenes Herz

Am 6. November 2021 erlag Shawn einem Herzinfarkt. Wegbegleiter wie Sergio Oliva Jr. und sein langjähriger Coach Chris Aceto beschrieben in den Tagen danach, wie sehr die Vorwürfe und die Ächtung Shawn belastet hätten. Was letztlich zu Shawns Tod führte, werden wir vermutlich nie erfahren. War es ein Rückfall in die Alkoholsucht? Drogenmissbrauch? Die Folge der langjährigen Einnahme anaboler Steroide und anderer Substanzen? Die seelische Belastung, die nachweislich das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen erhöhen kann? Oder eine Mischung aus all diesen Faktoren? Letztlich ist diese Debatte aber müßig.

Ein Leben mit Höhen und Tiefen

Shawns Leben war ein beständiges Auf und ab, eine Abfolge der Extreme. Er ließ sich durch unzählige Rückschläge nicht davon abhalten, seinen Traum zu verwirklichen und erklomm die oberste Stufe dieses Sports. Er hatte Millionen Fans weltweit und schien einer finanziell sicheren Zukunft entgegenzublicken. All das verpuffte an diesem einen Tag in Salt Lake City. Doch sollte diese Geschichte nicht das sein, woran wir denken, wenn wir an Shawn Rhoden denken. Da bis zu seinem Tod kein Urteil gefällt wurde und das wohl auch nie gefällt werden wird, sollte für ihn, wie für jeden anderen auch die Unschuldsvermutung gelten. Wir sollten an den Ausnahmesportler Shawn Rhoden denken, einen Mann, der seinen Traum lebte, stets freundlich und höflich seinen Fans gegenüber war, seine Familie über alles liebte und für immer eine Ikone dieses Sports bleiben wird. Möge Shawn in Frieden ruhen.

 

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