Time under Tension (TuT) – Wie wichtig ist sie wirklich?

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Die Belastungsdauer ist für viele ein wichtiger Parameter im Krafttraining und entscheidet darüber, ob und wie stark deine Muskeln beim Training brennen. Eine erhöhte sogenannte Time under Tension (TuT) wurde daher vor allem in den vergangenen Jahrzehnten für das entstehende Muskelgefühl, den Pump und eine kontrollierte Bewegungsausführung geschätzt. Doch wie wichtig ist die Bewegungsgeschwindigkeit beim Krafttraining tatsächlich für die Entwicklung von Kraft und Muskelmasse?

Wie misst man die TuT?

Die Time under Tension bezeichnet die Zeit, in der ein trainierter Muskel unter Spannung steht. Die Gesamtzeit der Belastungsdauer beginnt also mit der ersten Wiederholung eines Satzes und endet mit der letzten. Um die TuT zu erhöhen, ohne auch das Trainingsvolumen -also die Wiederholungen erhöhen zu müssen – wählt man eine geringere Ausführungsgeschwindigkeit für die einzelnen Wiederholungen. Die sogenannte Kadenz wird optimaler Weise mit vier verschiedenen Zeitwerten angegeben. Zum Beispiel:

2/1/2/x

Dann bedeutet das, dass die konzentrische Aufwärtsbewegung der Hantel 2 Sekunden dauert, eine Sekunde an oberster Stelle pausiert und anschließend die Hantel für 2 Sekunden exzentrisch abgelassen wird. An unterster Stelle wird in diesem Beispiel nicht pausiert. Wird die Kadenz nur mit 2 Zahlen angegeben, reduziert sich die Information nur auf den konzentrischen und exzentrischen Teil der Bewegung. Zum Beispiel:

2/3

In diesem Beispiel dauert die konzentrische Phase 2 Sekunden und die exzentrische Phase 3 Sekunden.

Möchte man nun die TuT vergrößern, so erhöht man die Dauer die einzelnen Phasen. Zum Beispiel.

4/1/4/1

Somit würde jede Wiederholung deines Trainingssatzes 10 Sekunden dauern. Dieses Vorgehen wurde unter anderem beim Super-Slow-Prinzip angewandt, welches sogar, je nachdem, eine noch langsamere Bewegungsausführung empfiehlt. Vor allem in den 90er Jahren propagierten namhafte Coaches wie Charles Poliquin eine TuT von 5 Sekunden für Kraft und eine TuT von 10 und mehr Sekunden für Hypertrophie. Dadurch rückte die Beachtung der Belastungsdauer vermehrt in den Fokus der Trainierenden.

Erwartete Effekte

Die sehr langsame Übungsausführung, vor allem in der exzentrischen Phase, erhöht die Spannung auf den trainierten Muskel, erhöht die Durchblutung und sorgt für ordentliche Schmerzen während und wahrscheinlich auch nach dem Training. Deshalb liegt die Annahme nahe, dass diese Trainingsform durch langsame Bewegung vermehrt Muskelschäden anrichtet und daher besonders effektive Trainingsreize setzt.

Weiterhin zwingt eine langsame Bewegung den Trainierenden zu einer korrekten Übungsausführung und einem geringeren Trainingsgewicht. Bei einer höheren Belastungsdauer  steht die Kontrolle des Gewichts stärker im Vordergrund und vermindert das Abfälschen, wodurch der Muskel präziser gereizt wird. Daher soll durch eine höhere TuT das Training weiterhin sicherer werden und das Verletzungsrisiko senken.

Wie relevant ist die TuT?

Diese Annahmen sind zwar logisch und teilweise auch korrekt, allerdings ist die Time under Tension bei weitem nicht der einzige Parameter, der über Muskelhypertrophie entscheidet. Faktoren, wie Trainingsvolumen und Intensität sind für den Aufbau von Kraft und Muskelmasse sogar noch wichtiger als die TuT, da sie den mechanischen Schaden auf die Muskulatur erhöhen. Selbst wenn wir annehmen, dass die Belastungsdauer ebenso wichtig wäre, so stünde eine hohe TuT den anderen Faktoren dennoch im Wege.

So lassen sich beispielsweise eine hohe Intensität, also ein hohes Trainingsgewicht, und ein hohes Volumen zumindest für eine gewisse Zeit gut in Einklang bringen und ergeben einen sinnvollen Trainingsstimulus. Dagegen erfordert eine langsamere Bewegungsausführung eine deutlich geringere Intensität und oder ein geringeres Volumen. Neuere Studienergebnisse empfehlen daher, die TuT auf maximal 2 Sekunden in der konzentrischen und 3 Sekunden in der exzentrischen Bewegungsphase zu begrenzen, da ansonsten die Anzahl der absolvierten Wiederholungen deutlich sinkt.

Dadurch verringert sich der mechanische Stress und damit ein Hauptfaktor für Muskelwachstum deutlich. Weiterhin ist die Progression im Training ein entscheidender Faktor für langfristige Erfolge. Während sich das Volumen, vor allem aber die Intensität, theoretisch unbegrenzt steigern lassen, erreicht die Steigerung der TuT schon bald sein Maximum. Andersherum sind Steigerungen des Arbeitsgewichts bei sehr hoher TuT deutlich schwieriger zu erreichen, als bei normaler Bewegungsausführung und damit gerade für Fortgeschrittene eine wohl unnötige zusätzliche Herausforderung.

Weitere Studien zeigen, dass, wenn das Trainingsvolumen gleich ist, eine veränderte TuT keinen Einfluss auf das Muskelwachstum hat.

In der Praxis würde das Prinzip der langen TuT darüber hinaus bedeuten, dass kurze Trainingssätze mit wenigen Weiderholungen und kurzen bis durchschnittlichen Kadenzen keine optimalen Ergebnisse liefern könnten. Trainingsprogramme, wie das altbewährte 5 x 5-System oder noch geringere Wiederholungsschemata aus dem Powerlifting erscheinen unter diesem Gesichtspunkt als völlig ungeeignet, führen aber seit Jahrzenten zu sehr guten Resultaten.

Vorteile einer hohen TuT

Die Nachteile einer stark erhöhten TuT scheinen damit gegenüber den Vorteilen zu überwiegen. Allerdings ist die Beachtung einer adäquaten TuT dennoch interessant. Sie stellt zwar aus den genannten Gründen keinen Hauptfaktor für Hypertrophie und Kraftaufbau dar, kann allerdings die Trainingseffekte, die durch eine hohe Intensität und Volumen ausgelöst werden, durchaus unterstützen. Denn neben der mechanischen Belastung, die auf einen Muskel wirkt und dessen progressive Steigerung, spielt auch der metabolische Stress für Anpassungsprozesse eine Rolle.

So ist zwar die muskuläre Schädigung bei hoher TuT mechanisch gesehen geringer, als bei einer normalen Kadenz mit mehr Gewicht oder mehr Wiederholungen, jedoch kann eine längere Spannungsdauer die Ausschüttung von Wachstumshormonen erhöhen sowie einen kurzzeitigen Sauerstoffmangel als positiven Effekt beeinflussen. Weiterhin kann eine längere Belastungsdauer Typ 1-Muskelfasern vermutlich effizienter reizen, da diese belastungswiderstandsfähiger sind, als die kräftigeren Typ 2-Fasern. Sie verfügen jedoch in der Regel auch über ein geringeres Hypertrophiepotential. Frauen weisen meist einen höheren Anteil der Typ 1 -Fasern auf und könnten daher eventuell durchaus von einer längeren TuT profitieren.

Damit stellt die TuT vielleicht keinen primären Wachstumsreiz dar, unterstützt jedoch den Trainingsstimulus durch metabolische Effekte, solange sie die Intensität und das Gesamtvolumen nicht negativ beeinflusst. Zur Erinnerung: Studien empfehlen bis zu 2 Sekunden konzentrische und 3 Sekunden exzentrische Arbeit pro Wiederholung.

Dies ist vermutlich bereits mehr, als die meisten Trainierenden erreichen. Genau deswegen ist es eben doch sinnvoll sich um die TuT zu kümmern, selbst wenn sie keinen direkten Einfluss auf das Muskelwachstum zu haben scheint. Wer auf die TuT achtet, trainiert automatisch kontrollierter, wählt seine Gewichte nicht über das Ego aus und achtet auf ein risikoarmes Training. Indirekt führt die TuT daher vermutlich sehr wohl zu mehr Muskelmasse, wenn auch nicht aus den ursprünglich angenommenen Gründen. In jedem Fall solltest du die TuT nicht völlig vernachlässigen. Extreme Ansätze wie das Super-Slow-Training sind allerdings aus heutiger Sicht nicht mehr zu empfehlen.

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