Die Klitschkos: Ein einzigartiges Brüderpaar mit Kämpferherz

Immer wenn einer der Brüder im Ring stand, fieberte der andere wenige Meter entfernt mit. Die Klitschkos gab es nur im Doppelpack – der eine konnte sich der uneingeschränkten Unterstützung des anderen stets sicher sein. Vitali und Wladimir dominierten den Boxsport über ein Jahrzehnt lang, mussten auf dem Weg an die Spitze allerdings einige Rückschlägen verarbeiten. Wir blicken zurück auf die sportlichen Karrieren der Ukrainer.

Komplett fokussiert, durchströmt von Adrenalin und im häufig zitierten Tunnel seiner Arbeit nachzugehen, erfordert viel Disziplin und eine sehr gründliche Vorbereitung. Das Team der Klitschkos beinhaltete selbstverständlich immer eine Reihe von Spezialisten, außerdem arbeiteten die Brüder häufig mit verschiedenen Trainern zusammen – die Konstante allerdings stellte die moralische Unterstützung des jeweils anderen dar.

Die Gebrüder Klitschko: Unumstrittene Weltmeister im Doppelpack

Die Familie war und ist den Klitschkos heilig. Über Jahre hinweg zwei aktive Weltmeister im Schwergewicht zu haben, stellt eine einzigartige Gegebenheit in der Welt des Boxens dar. Die Eltern, zu denen die Brüder ein ausgesprochen enges Verhältnis haben und hatten, schauten sich die Kämpfe niemals an. Zu besorgt waren sie um die Gesundheit ihrer Jungs.

Nach dem Kampf wurde immer sogleich zum Handy gegriffen, um die nervöse Mutter daheim in der Ukraine zu beruhigen. Auch wenn ein Klitschko-gegen-Klitschko-Fight finanziell wahrscheinlich eine der größten Börsen aller Zeiten zustande gebracht hätte, kam ein direktes Duell niemals in Frage – dies hatten die Brüder ihrer Mutter bereits zu einem frühen Zeitpunkt in ihrer Karriere versprochen.

Kindheit in der Sowjetunion

Als Kinder wuchsen die Brüder in der Sowjetunion auf. Da der Vater Soldat war, wechselten die späteren Weltmeister im Schwergewicht sehr häufig den Wohnort sowie die Schule. Sich als Heranwachsende in immer wieder wechselnden Umfeldern zurecht zu finden, war kein leichtes Unterfangen. Vitali und Wladimir hielten laut eigenen Aussagen stets zusammen wie Pech und Schwefel und setzten sich notfalls körperlich zur Wehr.

Die Eltern waren streng. Schon als Kinder lernten die Klitschkos, sich diszipliniert und loyal zu verhalten. Dennoch unterstützten sie Vitali dabei, sich als Jugendlicher dem Kickboxen zu widmen, obwohl westliche Kampfsportarten in der Sowjetunion zunächst verboten waren. Als das Verbot Ende der 80er Jahre keinen Bestand mehr hatte, begann die sportliche Karriere des älteren Bruders.

Als Kickboxer brachte es Vitali zum mehrfachen Weltmeister. Das große Geld jedoch steckte im klassischen Boxen. Also wurde umgelernt. Seinen kleinen Bruder nahm der Ukrainer gleich mit zum Boxtraining. Und dieser legte eine atemberaubende Portion Talent an den Tag.

Als Amateure mussten beide kaum Niederlagen hinnehmen. Mitte der 90er Jahre gelangen gute Platzierungen bei Welt- und Europameisterschaften, weshalb zunächst Vitali in den olympischen Kader der Ukraine berufen wurde. Als der ältere Bruder allerdings wegen einer positiven Dopingprobe gesperrt wurde, sprang einfach Wladimir in die Bresche und sicherte sich 1996 in Atlanta die Goldmedaille im Superschwergewicht.

Der Wechsel zu den Profis

Daraufhin entschieden sich die Klitschkos dazu, zu den Profis zu wechseln. Der legendäre sowie verrufene Promoter Don King streckte auch sogleich seine Fühler nach den ausgesprochen talentierten Osteuropäern aus und bewies damit einmal mehr einen guten Riecher. Nach einem Besuch in den USA hatten die Brüder allerdings kein gutes Gefühl und schlugen das finanziell sehr lukrative Angebot des Geschäftsmanns aus.

Die ersten Jahre als Profis verliefen wie gemalt für die Brüder aus der Ukraine. Beide eilten von Sieg zu Sieg und schalteten ihren Kontrahenten in aller Regel durch KO-Treffer aus. Fans, Fachwelt und die Medien richteten ihren Fokus zunehmend auf das schlagkräftige Duo, welches sich unlängst zum Ziel gesetzt hatte, mittelfristig um Weltmeister-Titel boxen zu wollen.

Erste Gürtel um die Jahrtausendwende

Im Sommer des Jahres 1999 durfte der noch ungeschlagene Vitali schließlich bei der WBO um den Gürtel des Schwergewicht-Weltmeisters boxen. Bereits zu Beginn der zweiten Runde schickte der Ukrainer sein Gegner Herbie Hide auf die Bretter und setzte sich mit 28 Jahren die Krone auf. Im Folgejahr sollte ihn jedoch ein herber Rückschlag ereilen.

Denn nach zwei erfolgreichen Titelverteidigungen kam es im Frühjahr 2000 zum Duell mit Chris Byrd. Obgleich Vitali den US-Amerikaner scheinbar mühelos im Griff hatte, warf das Team des Ukrainers in der neunten Runde das Handtuch. Eine von außen nicht sichtbare Schulterverletzung zwang den Gürtelträger zur Aufgabe. Die Presse und viele Boxfans sahen in Vitali im Anschluss ein Weichei ohne Kämpferherz.

Noch im selben Jahr sorgten die Klitschkos dennoch gewisser Maßen für klare Verhältnisse: Im Oktober nahm sich Wladimir den Bezwinger seines Bruders vor. Ein einstimmiger Punktsieg in der Lanxess Arena in Köln zauberte auch Vitali ein großes Lächeln auf die Lippen. Spätestens Wladimirs Interview im Ring beantwortete sämtliche offene Fragen: „Erstens: Wir sind keine Weicheier! Zweitens: Ich bin Weltmeister! Drittens: Ich liebe meinen Bruder! Danke.“

Vitalis Kehrtwende gegen Lennox Lewis

Während sich die frühe Phase in der Profikarriere der Klitschkos noch in Deutschland abgespielt hatte, entschied man sich im Lager der Brüder dazu, fortan häufiger in den USA boxen zu wollen. Denn obgleich sich der Titel der WBO bereits in den Händen der Ukrainer befand, gab es die damals noch prestigeträchtigeren Gürtel der anderen großen Verbände zu gewinnen.

Zunächst glückten Wladimir in den USA gleich zwei Titelverteidigungen des WBO-Gürtels, bevor Vitali im Juni 2003 gegen Doppelweltmeister Lennox Lewis (Gürtelträger des WBC und der unbedeutenderen IBO) in den Ring stieg. Es galt, das Image des Weicheis loszuwerden und dem größten Boxpublikum der Welt zu imponieren.

Vitali brachte den Briten bereits früh ins Wanken. Der Ukrainer agierte leidenschaftlich und offensiv, das Publikum war begeistert. Der Kampf in Los Angeles entwickelte sich zu einem heißen Fight mit sichtbaren Vorteilen für den Herausforderer. Erst ein tiefer Cut über dem linken Auge stellte Vitali vor Probleme. Nicht etwa, weil der Heißsporn aufhören wollte. Doch der Ringarzt schob dem Spektakel schließlich einen Riegel vor und beendete den Kampf.

„No, no, no!“ – Vitalis Protest konnte den Ringrichter im Anschluss natürlich nicht mehr umstimmen. Auch wenn Lennox Lewis seine beiden Gürtel behielt, hatte der Ukrainer die Herzen des US-Publikums erobert und galt fortan als eines der heißesten Eisen im gesamten internationalen Box-Zirkus. Besagte zweite Niederlage musste Vitali genau wie beim ersten Mal hauptsächlich aufgrund einer Verletzung einstecken. Fortan sollte der ältere Klitschko-Bruder den Ring nie wieder als Verlierer verlassen.

Wladimirs Tiefpunkte in den Jahren 2003 und 2004

Wenige Wochen zuvor hatte Wladimir seinen WBO-Gürtel überraschend an den Südafrikaner Corrie Sanders verloren. Im Sommer 2003 galten die Klitschkos zwar bereits als legitime Anwärter auf die ganz großen Gürtel, beide standen allerdings ohne Titel dar. Also nahmen diese ein Jahr später den nächsten Anlauf.

Während sich Vitali 2004 den Bezwinger seines kleinen Bruders vorknöpfen sollte, stieg Wladimir zwei Wochen zuvor gegen Lamon Brewster in den Ring. Erneut startete der jüngere Bruder stark, ließ dann allerdings wie ein Jahr zuvor überraschend nach und sank schlussendlich auf die Bretter.

Die Karriere von Wladimir Klitschko befand sich im Anschluss auf einem Tiefpunkt: Denn der Ukrainer zweifelte an seinen sportlichen Fähigkeiten und sogar sein älterer Bruder legt ihm einen Rücktritt nah. Dieser eroberte kurze Zeit später den WBC-Gürtel gegen Sanders und durfte sich endlich wieder als Besitzer eines bedeutenden WM-Titels bezeichnen.

Zwischenmenschliche Spannungen unterwanderten im Anschluss das vormals stets hervorragende Verhältnis zwischen den Brüdern. Es kam zu Streitigkeiten und man schrie sich sogar vor dem gesamten Team an. Im Grunde genommen wollte Vitali nur dabei helfen, seinen kleinen Bruder sportlich wieder konkurrenzfähig zu machen. Dieser jedoch zweifelte an den alten Trainingsmethoden, welche ihn zu zwei aufeinanderfolgenden Niederlagen geführt hatten.

Schlussendlich entschied sich Wladimir dazu, Vitali aus seinem Vorbereitungsteam zu verbannen. Im Rückblick stellte sich besagter Schritt als eine hervorragende Idee dar, weil sich der jüngere Bruder mit neuen Coaches umgab, welche ihn optimal auf kommende Aufgaben vorbereiten sollten. Zudem verbesserte sich das Verhältnis der Brüder schlagartig und wenige Monate später war man wieder ein Herz und eine Seele.

Wladimir schlägt zurück

Gegen den „Nigerianischen Alptraum“ Samuel Peters sollte Wladimir im Sommer 2005 die Chance zur großen Wiedergutmachung bekommen. Das noch ungeschlagene Knockout-Wunder war eine waschechte Attraktion, welche sich genau wie der Ukrainer nach einem WM-Kampf bei einem der großen Verbände sehnte. Ein sehr intensiver Fight endete mit einem einstimmigen Punktsieg für Klitschko. Wladimir war wieder da.

Knapp ein Jahr später bekam der jüngere Bruder die Gelegenheit, um die Gürtel der IBF und IBO zu kämpfen. Der US-Amerikaner Chris Byrd biss sich zunächst die Zähne am Ukrainer aus, bevor dieser ihn mit einer schnellen Schlagfolge auf die Bretter schickte. Etwas mehr als drei Jahre nach der Niederlage gegen Sanders durfte sich Wladimir endlich wieder als Weltmeister im Schwergewicht bezeichnen.

Parallel schlug sich der ältere Bruder mit einer Verletzung nach anderen herum. Probleme an den Bandscheiben und mit dem Knie erzwangen Operationen und lange Trainingspausen. Vitali engagierte sich in der Zwischenzeit als Politiker in der Ukraine und wollte seinen Beitrag zur Bekämpfung der allgegenwärtigen Korruption im Land leisten.

Vitalis beeindruckendes Comeback

Vier lange Jahre waren im Herbst 2008 seit Vitalis letztem Kampf vergangen. Sein ehemaliger WBC-Gürtel befand sich im Besitz von Samuel Peters, welcher in Berlin probierte, besagten Titel gegen den Ukrainer zu verteidigen. Vitali machte kurzen Prozess mit dem Nigerianer und zwang diesen in der achten Runde zur Aufgabe. Der große Traum wurde Wirklichkeit: Beide Klitschkos waren zeitgleich Weltmeister im Schwergewicht.

Wladimir gelang es fortan, auch die noch übrigen Gürtel der großen Boxverbände einzusacken. Nach einem Triumph über den Briten David Haye umfasste die beeindruckende Sammlung ab dem Jahr 2011 die Titel von IBF, IBO, WBA sowie WBO. Nur der Gürtel der WBC befand sich in den Händen seines älteren Bruders.

Gut ein Jahrzehnt lang herrschte eine komplette Klitschko-Dominanz in der Welt des internationalen Boxens. Zwischen 2004 und 2015 gelang es niemandem, einen der beiden Brüder zu besiegen. Während Vitali seine Karriere als Weltmeister im Jahr 2012 beendete, setzte Wladimir seinen Triumphzug zunächst fort.

Im November 2015 verlor der Ukrainer seine Gürtel an den Briten Tyson Fury. Als es im Frühjahr 2017 nicht gelang, die Gürtel gegen Anthony Joshua zurückzuerobern, setzt auch der jüngere Bruder einen Schlussstrich unter die eigene Karriere.

Unumstrittene Weltmeister im Doppelpack

Zusammenfassend verlor Vitali in seiner gesamten Profilaufbahn nur zwei Kämpfe. Sowohl im Kampf gegen Byrd als auch im Fight mit Lewis wurde der Heißsporn lediglich von einer Verletzung ausgebremst. Als gigantischer Titelhamster ging der ehemalige Kickboxer allerdings nicht in die Geschichte ein, da sein Bruder parallel in Besitz der anderen Gürtel war.

Wladimir musste insgesamt fünf Niederlagen hinnehmen. Im Gegenzug verfügte der jüngere Bruder über Jahre hinweg über drei der vier wichtigen Gürtel. Die Ukrainer hätten sich nur gegenseitig bei dem Versuch aufhalten können, unumstrittener Weltmeister aller Verbände zu werden. Im Doppelpack gelang ihn dieses – zwischenzeitlich sogar scheinbar mühelos.

Autor: Nico Schmidt Bilder: Wladimir Klitschko und Vitaly Klitschko 

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