Kai Greene: Unter schwierigsten Bedingungen in die Weltspitze

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Der Bodybuilder Kai Greene ist anders: Eine Vielfalt an verschiedenen Typen belebt die Welt des professionellen Bodybuildings seit den Anfängen. Während viele Athleten einen kalifornischen Lifestyle bevorzugen, sympathisierten zahlreiche Fans immer wieder mit Profis, welche nicht besagter Norm entsprechen. Kai Greene stellt solch eine Ausnahme dar: Der US-Amerikaner kämpfte sich unter schwierigsten Bedingungen nach ganz oben und punktete Zeit seiner Karriere mit einer atemberaubend authentischen sowie nahbaren Persönlichkeit.

Die Karriere des Kai Greene: Unter schwierigsten Bedingungen in die Weltspitze

Kai hatte keine einfache Kindheit: Er wuchs als Waise im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf, welches in den 70er sowie 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch als waschechtes Problemviertel bezeichnet werden konnte. Der US-Amerikaner wechselte häufig die Pflegefamilie, erfuhr Gewalt und Erniedrigung. Erinnerungen an zahlreiche Aufenthalte in Anstalten für schwer erziehbare Kinder prägen den 1,73 Meter-großen Bodybuilder nach eigenen Aussagen bis heute.

Glücklicherweise fand Kai Greene als Teenager schließlich ein Ventil, welches ihm zu emotionaler Stabilität verhelfen sollte: Bodybuilding. Zunächst unterstützte ihn ein Lehrer in Sachen Zugang zu einem Gym, später erkannte ein Personal Trainer das gigantische Potential des Problemkinds und nahm den jungen Kai unter seine Fittiche.

Abseits des Studios durchlebte „The Predator“ allerdings bis ins junge Erwachsenenalter eine harte Zeit. Er war zwischenzeitlich obdachlos, ging niemals einem auch nur einigermaßen gutbezahlten Beruf nach und musste sich mit den psychischen Auswirkungen seiner turbulenten Kindheit auseinandersetzen. Und doch gelang es Kai Greene, sich als Bodybuilder stetig zu verbessern.

Kai Greene: Schritt für Schritt in die Weltspitze

In seinen frühen Zwanzigern gewann Kai erste Wettkämpfe als Amateur. 2004 führte ein Sieg auf den „Team Universe Championships“ des NPC zum Erlangen der Procard des IFBB – mit 29 Jahren durfte sich „The Predator“ also schließlich als Bodybuilding-Profi bezeichnen. Als Schlüssel zum Erfolg hob Kai immer ein hohes Maß an Disziplin hervor, welches er sich trotz der widrigen Umstände im Laufe der Jahre angeeignet hatte. Training, Ernährung, Regeneration: Alles musste immer passen, egal unter welchen Bedingungen.

Schritt für Schritt gelang es „The Predator“, ins Konzert der Großen vorzustoßen. Erste Achtungserfolge verzeichnete der US-Amerikaner im Jahr 2007, als beispielsweise ein Finaleinzug im Rahmen der New York Pro gelang. Erste Sponsoringverträge und Auftritte auf verschiedenen Veranstaltungen spülten etwas Geld in die vormals klamme Kasse und ermöglichten, den Fokus ausschließlich aufs Bodybuilding zu legen.

Neben wahnsinniger Muskelmasse fiel Kai durch sein extrovertiertes Posing und ein allgemein außergewöhnliches Erscheinungsbild auf: Die ungewöhnliche Frisur, eine für einen Bodybuilder irrwitzig grazile Art, sich zu bewegen sowie das augenscheinlich sanfte Gemüt katapultierte den New Yorker mitten in die Herzen zahlloser Fans.

2008 platzte endgültig der Knoten. In Sachen Muskelmasse sowie Präsentation gelang es Kai Greene, sich im Vergleich zu den Vorjahren weiter zu verbessern. Ein Sieg auf der New York Pro sowie der dritte Platz auf der Arnold Classic hievten den US-Amerikaner in die Weltspitze. In den beiden Folgejahren gelang es „The Predator“ dann sogar, die Arnold gleich zweimal zu gewinnen. 2010 verwies Kai Greene einen gewissen Phil Heath auf den zweiten Rang.

Der authentische Bodybuilder

Im Rahmen besagter Zeitspanne lebte der Profi-Bodybuilder nach wie vor in einer Hochhaussiedlung in Brooklyn. Nahbar, hilfsbereit, etwas schüchtern – Kai gilt als ein sehr angenehmer Zeitgenosse. Zeit seiner aktiven Karriere ließ sich „The Predator“ einmal wöchentlich bei einem kostengünstigen Posing-Kurs in einer schlichten Turnhalle sehen, um Seite an Seite mit teilweise blutigen Anfängern an seiner Bühnenpräsentation zu arbeiten und anderen Teilnehmern mit Tipps zur Seite zu stehen.

Kais Workouts haben es selbstverständlich stets in sich. Der US-Amerikaner orientiert sich eher an traditionellem Volumentraining: Einem kurzen Warm Up folgt immer eine ausführliche Stretching-Session, welche sogar einige Atemübungen beinhaltet, um ein höheres Level an Konzentration zu erlangen.

Die Zielmuskulatur wird im Anschluss häufig erst mit leichtem Gewicht und vielen Wiederholungen ermüdet, bevor wenige Sätze mit schwereren Gewichten folgen. Insgesamt legt „The Predator“ nach eigenen Aussagen eher selten viele Scheiben auf die Hantel. Dem US-Amerikaner ist eine saubere Ausführung sowie eine große Übungsvielfalt wichtiger.

Ein Olympia-Titel als großes Ziel von Kai Greene

Nach diversen Siegen auf der Tour verschob sich der Fokus von Kai Green auf den wohl bedeutsamsten Wettbewerb der Welt: Mr. Olympia. Die Vorzeichen standen nicht schlecht, da Jay Cutler sowie Dexter Jackson langsam einen Punkt in ihrer Karriere erreicht hatten, an welchem es schwer wurde, Jahr für Jahr ein formstarkes sowie atemberaubend fülliges Gesamtpaket zu präsentieren. Neben „The Predator“ war allerdings auch Phil Heath bereit, die Thronfolge der alteingesessenen Stars anzutreten.

Während Kai seinen neuen Rivalen Phil im Rahmen eines vierten Platzes im Jahr 2009 noch hinter sich lassen konnte, stimmte die Form ein Jahr später bei „The Predator“ keineswegs. Während der New Yorker das Finale bei Mr. Olympia 2010 verpasste, rückte Phil dem Sieger Jay Cutler beängstigen nah auf den Leib und manifestierte seinen Status als größter Herausforderer des amtierenden Champions.

So war es Phil, der bereits im Vorfeld des Olympia-Wochenendes im Jahr 2011 als Favorit ins Rennen ging und Jay tatsächlich als Champion ablöste. Kai erreichte den dritten Platz und musste fortan an Phil vorbei, um sich den wichtigsten Titel in der Welt des Bodybuildings zu sichern. Doch die Judges bevorzugten auch im Folgejahr den Stil des amtierenden Gewinners, weshalb sich „The Predator“ auch 2012 nur mit dem zweiten Rang zufriedengeben musste.

Nachdem es 2013 wieder lediglich für Platz zwei hinter Phil reichte, brodelte es bei Kai gewaltig. Beide hatten ihren Stärken und Schwächen, es gab in den Vorjahren gute Argumente für und gegen die Wahl von „The Predator“ als neuen Mr. Olympia. Darüber hinaus musste Kai sich mit der Kritik auseinander setzten, Phil in Sachen Bühnenpräsenz unterlegen zu sein. Sein Rivale drängelte sich beispielsweise regelmäßig in den Vordergrund oder zögerte seine Posen hinaus.

Böses Blut auf der Olympia 2014 zwischen Kai Greene und Phil Heath

2014 erreichte die Rivalität zwischen Kai und Phil ihren Höhepunkt. Bereits die Pressekonferenz, in der Regel eher ein gekünsteltes Spektakel, deutete das große sowie authentische Spannungsverhältnis zwischen den beiden Favoriten an. Ungeachtet der Fragen schleuderten sich beide Kampfansagen um die Ohren, setzten zu zahlreichen Provokationen an und trieben die Vorfreude der Fans in schwindelerregende Höhe.

Auf der Bühne trieb es Kai im Anschluss für den Geschmack vieler Zuschauer etwas zu weit: Er ließ sich von Phil provozieren, als dieser erneut probierte, sich im Rahmen einer Pose vor „The Predator“ zu drängen. Daraufhin dreht sich Kai in die Richtung seines Widersachers und deutete die Bereitschaft einer körperlichen Auseinandersetzung an. Sportlich gesehen blieben die Judges trotz des ganzen Getoses bei ihrer üblichen Reihenfolge, obwohl viele Fans und Experten Kai vorne gesehen hatten.

Spätestens nach besagtem turbulenten Jahr war das Verhältnis zwischen „The Predator“ und den Offiziellen von Mr. Olympia zerrüttet. Die Judges bevorzugten offenkundig Phils Stil, obgleich Kai Jahr für Jahr deutlich mehr Muskelmasse auf die Bühne hievte. Objektiv gesehen handelte es sich allerdings wie bereits erwähnt um eine Frage des Geschmacks. Darüber hinaus haderte Kai mit Phils wiederholtem unsportlichen Verhalten auf der Bühne, welches zu keinem Zeitpunkt sanktioniert worden war.

So zögerte „The Predator“, als es darum ging, sich für die Olympia-Show 2015 zu registrieren. Neben den persönlichen Abneigungen schwang im Hintergrund ein Streit zwischen Kais Sponsoren und dem IFFB mit. Fronten verhärteten sich und über Wochen hinweg war niemand dazu bereit, sich auf die Gegenpartei zuzubewegen. Nachdem Kais Lager ein finales Ultimatum bezüglich einer Vertragsunterschrift hatte verstreichen lassen, platzte gut eine Woche vor dem Wettkampf die Bombe: Der IFBB schloss den Publikumsliebling Kai Greene von Mr. Olympia 2015 aus.

Zu guter Letzt ein Triple auf der Arnold

So verlängerte Kai seine Vorbereitung nach einer kurzen Pause um einige Monate und trat im Frühjahr 2016 an, um die Arnold Classic ein drittes Mal zu gewinnen. „The Predator“ lieferte bravourös ab und sicherte sich im Anschluss auch noch die AC-Titel in Australien sowie Brasilien. Besagtes Triple stellten die letzten Bühnenauftritte in der professionellen Wettkampfkarriere des US-Amerikaners dar.

Im Jahr 2014 belegte Kai Greene hinter Phl Heath den zweiten Platz beim Mr. Olympia. Photo by Team-Andro.com

Da ein Auftritt bei Mr. Olympia offenkundig nicht mehr in Frage kam und Kai im Rahmen der Arnold Classic mehrfach alles abgeräumt hatte, traf „The Predator“ augenscheinlich den Entschluss, einen guten Zeitpunkt für das Karriereende gefunden zu haben. Zu einem offiziellen Statement ließ Kai sich bis heute diesbezüglich nicht hinreißen, allerdings gehen die meisten Fans bereits länger davon aus, „The Predator“ auf keiner Wettkampfbühne mehr wieder zu sehen.

Dem Bodybuilding ist Kai aber selbstverständlich treu geblieben. Der mittlerweile in Florida beheimatete US-Amerikaner ist auf Social Media aktiv, war vor der Pandemie viel für seine Sponsoren unterwegs und engagiert sich im Rahmen von Seminaren. Der dreifache Arnold-Classic-Champion trainiert und lebt nach wie vor wie ein Profi – ganz ausgeschlossen ist ein unerwartetes Comeback von Kai Greene somit nicht.

Autor: Nico Schmidt – Bilder: Team-Andro.com, Kai Greene, Matthias Busse

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