Intermittent Fasting und der Muskelaufbau

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Intermittent Fasting: Von der Warrior Diet bis zu IF 2.0

Intermittent Fasting beschreibt ein Vorgehen, bei dem man während des Tages bewusste Phasen einlegt, in denen man nichts isst. Obwohl dies auf den ersten Blick fast schon widersprüchlich zum klassischen Ziel des Muskelaufbaus wirken könnte, hat sich Intermittent Fasting in den letzten Jahren auch im Bodybuilding und Fitnesssport etabliert. Insbesondere Martin Berkhan sorgte mit seinem 16/8-Konzept dafür, dass intermittierendes Fasten auch von Eisensportlern betrieben wird. Dennoch war Berkhan längst nicht der erste Athlet, der dem praktisch dauerhaften Essen abschwor. Der folgende Artikel soll einen kleinen Überblick über das Prinzip des Intermittent Fastings bieten.

Das Intermittent Fasting Prinzip

Das Prinzip des Intermittent Fastings wurde eingangs bereits genannt. Anstatt unmittelbar nach dem Aufstehen mittels Frühstück die Hungerphase der Nacht zu unterbrechen, über den Tag verteilt alle paar Stunden zu essen und vor dem Schlafen gehen, einen Casein-Shake zu trinken, wird eine gewisse Zeit des Tages auf die Nahrungsaufnahme verzichtet bzw. der Beginn hinausgezögert. Der Grundgedanke ist dabei immer derselbe: Die verlängerte Phase des Nahrungsverzichts soll dazu beitragen, dass der Körper länger auf seine Reserven zurückgreift und der Körperfettanteil damit verringert werden kann.

So weit, so gut. Doch was ist mit der hart erarbeiteten Muskulatur? Macht man nicht alle Trainingsfortschritte zu Nichte, wenn man beispielsweise das Frühstück hinauszögert? Die kurze Version der Antwort lautet „Nein!“. Die lange Version ist Lesern meines Buches „Ernährung für (Kraft-)Sportler“ bereits bekannt und eine mittellange Fassung möchte ich an dieser Stelle geben.

Zunächst einmal betreibt jeder Mensch in gewissem Maße intermittierendes Fasten. Schließlich hängt sich niemand während des Schlafens an einen Tropf und lässt kontinuierlich Nährstoffe in seinen Organismus fließen. Entsprechend ist der Körper nach vollständiger Verdauung der letzten Mahlzeit, die in der Regel vor dem Aufstehen abgeschlossen sein sollte, auf bereits gespeicherte Energie angewiesen.

Diese wird, vereinfacht beschrieben, insbesondere für zwei Dinge benötigt:

  1. Stabilisierung des Blutzuckerspiegels und
  2. Bereitstellung der Energie für die Zellen des gesamten Organismus.

Im Blut ist jederzeit etwa ein Teelöffel voll Glukose gelöst. Auf Schwankungen reagiert der Körper auf zwei mögliche Arten: Er schüttet entweder das Hormon Insulin aus, welches dafür sorgt, dass der Blutzuckerspiegel sinkt, oder die Produktion des Hormons Glukagon wird angeregt. Das Letztgenannte führt dazu, dass die Leber Glukose ans Blut abgibt.

Diese Stabilisierung ist notwendig, da sowohl eine Über- als auch eine Unterzuckerung über ein gewisses Maß bzw. eine gewisse Dauer tödlich wäre. Vereinfacht kann man davon ausgehen, dass das Essen von Kohlenhydraten zum Anstieg von Insulin führt. Ist die Nahrung vollständig verdaut, bleibt der Blutzuckerspiegel allerdings nicht stabil. Das Gehirn verbraucht pro Tag durchschnittlich 120 Gramm Kohlenhydrate und da die Gehirnzellen keine Glykogenspeicher wie die Muskulatur oder die Leber besitzen, bezieht unser Denkorgan die Kohlenhydrate aus dem Blut. Damit wir nun nicht an einer Unterzuckerung sterben, sorgt das Hormon Glugakon für die Stabilisierung des Blutzuckerspiegels.

In Wirklichkeit ist dies alles etwas komplexer und Hormone wie Adrenalin und Cortisol nehmen ebenfalls Einfluss auf den Blutzucker, wie ich es in meinem Buch darstellte. Für das generelle Verständnis soll uns dies im Rahmen dieses Artikels allerdings genügen. Damit wollen wir uns dem zweiten Punkt widmen, der Energiebereitstellung.

Intermittent Fasting und die Fettverbrennung

Unsere Zellen verbrauchen Energie in Form von ATP. Da die Speicher hierfür nur begrenzt sind, findet praktisch dauerhaft eine Wiederherstellung von verbrauchtem ATP statt. Hierfür greift der Körper insbesondere auf die Makronährstoffe Kohlenhydrate und Fett zurück. Unter gewissen Umständen kann zwar auch Protein zur Energiegewinnung genutzt werden und auch Ethanol, das wir umgangssprachlich als Alkohol kennen, liefert Kalorien, doch beides hat unter normalen Umständen in der Praxis nur wenig Relevanz.

Bleiben somit nur Kohlenhydrate und Fette. Da wiederum nur die Muskeln, die Leber und die Niere nennenswerte Kohlenhydratspeicher besitzen, sind die restlichen Zellen auf eine kontinuierliche Versorgung mit Nährstoffen über das Blut angewiesen. Hierfür greift der Körper auf Fettsäuren zurück, die Dank des Enzyms HSL (hormonsensitive Lipase) aus dem Körperfett freigesetzt und ans Blut abgegeben werden. Insulin wiederum würde diesen Vorgang bremsen, so dass unsere körpereigenen Speicher unangetastet blieben.

Wer morgens auf das Frühstück verzichtet, verbrennt länger Körperfett.

Könnte man den Verzicht aufs Essen dann nicht einfach ein paar Tage lang durchführen und wäre innerhalb kürzester Zeit in Wettkampfform? Leider nicht. Dies führt uns zu einem Prinzip, das man als temporäres Defizit bezeichnen könnte. Je nachdem, wann wir uns wieviel bewegen und essen, gibt es immer wieder Stunden, in denen man sich gerade im Überschuss oder im Defizit befindet. Der Körper wechselt also mehrfach am Tag zwischen Zuständen des Speicherns und Zuständen des Reserveverbrauchs, wie die folgende Grafik aus meinem Buch „Wie man in Form kommt… und diese hält!“ veranschaulichen soll.

Beispielverlauf von Defizit- und Überschussstunden über den Tag gesehen – Grafik aus: „Wie man in Form kommt… und diese hält!“

Zu viele, zu starke Defizitstunden sorgen wiederum zu einem ungünstigen hormonellen Verhältnis. Man sollte keine Panik vor Defizitstunden bekommen, nur sollte man diese zum einen auf den Tag betrachtet mittels Überschussstunden wieder ausgleichen, was selbst in einer Diät dadurch gelingt, dass das Tagesdefizit nicht zu radikal ausfällt. Doch selbst, wenn dies an dem ein oder anderen Tag mal nicht gelingt, sollte es zu keinen spürbaren Nachteilen beim Erreichen der eigenen Zielen kommen.

Wer jedoch dauerhaft zu viele Defizitstunden sammelt, wird kurzfristig von sinkenden Testosteron- und Leptinspiegeln betroffen sein und mittelfristig ein Absinken der Schilddrüsenhormone riskieren. Intermittierendes Fasten ist also deutlich sinnvoller als tagelanges, vollständiges Fasten! Doch was ist nun mit dem Muskelaufbau? Wird dieser durch Intermittent Fasting gebremst?

Intermittent Fasting und der Muskelaufbau

Ich pflege immer zu sagen, dass sich noch niemand Muskeln angefressen hat. Andernfalls läge der amtierende Mr. Olympia Brandon Curry aktuell im Liegestuhl auf seiner Terrasse und würde genüsslich einen Proteinshake oder meinetwegen auch einen Weight Gainer schlürfen. Wie wir allerdings alle Wissen, hilft selbst das beste Kuwait Chicken nichts, wenn man nicht intensiv trainiert. Durch die Belastung im Training entstehen kleine Mikroverletzungen, die im Rahmen der anschließenden Regeneration nicht nur repariert, sondern sogar über das ursprüngliche Maß hinaus aufgebaut werden. Wir kennen dieses Prinzip als Superkompensation.

Damit der Körper dazu in der Lage ist, benötigt er Nährstoffe, so dass im Anschluss an das Training bekanntermaßen das anabole Fenster öffnet. Dieses ist jedoch nicht nur auf wenige Minuten beschränkt. Die Glykogenspeicher der Muskulatur sind gemäß Literatur etwa zwei Stunden besonders aufnahmefähig und die Muskelproteinsynthese ist sogar bis zum nächsten Tag erhöht. Man muss den Postworkout-Shake also nicht intravenös auf der Trainingsfläche zuführen. Man sollte allerdings auch nicht stundenlang weiter fasten.

Wer nüchtern ins Training geht, wird dort so viele Kalorien verbraucht haben, dass er sich in einem deutlichen Defizit seit der letzten Mahlzeit befindet. Weiterer Nahrungsverzicht würde zwar weiterhin die Fettverbrennung aufrechterhalten, allerdings würde dies zum einen die Vorteile des anabolen Fensterns ungenutzt lassen, und zum anderen die Phase, in der man sich einem (zu) starken Defizit befindet, unnötig ausweiten.

Bodybuilder und Kraftsportler sollten daher in jedem Fall im Anschluss an das Training essen. Unabhängig davon, ob zehn, zwölf oder 16 Stunden vergangen sind. Wer das Fastenfenster weiter verlängert, bremst die eigenen Fortschritte. Diesen Gedanken sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns im Folgenden drei bekannte Intermittent Fasting Konzepte anschauen.

Verschiedene Intermittent Fasting Konzepte

Als erste, im Bodybuilding und Kraftsport verbreitete Intermittent Fasting Variante muss ohne Frage die 2002 von Ori Hofmekler geschaffene Warrior Diät genannt werden. Diese ist symbolisch an das Leben von Steinzeitmenschen angelehnt, die erst dann mit der Nahrungsaufnahme beginnen konnten, wenn die Jagd erfolgreich war. Im Zuge der Warrior Diät ist ein Fastenfenster von ganzen 20 Stunden vorgesehen, wobei während dieser Zeit kleine Snacks in Form von Beeren, etwas Gemüse oder auch Nüssen erlaubt sind.

Bald zwei Dekaden später hat sich jedoch eine andere Variante des Intermittent Fastings international im Bodybuilding und Fitnesssport etabliert: das Leangains-Prinzip von Martin Berkhan. Im Zuge dieses Konzeptes empfiehlt Berkhan Männer 16 Stunden ohne Nahrungsaufnahme auszukommen, so dass noch an acht Stunden des Tages gegessen werden dürfte. Das klassische 16-8-Prinzip, an das die meisten Sportler denken, wenn sie Intermittent Fasting hören. Was viele jedoch bereits an diesem Punkt vergessen: Für Frauen sieht Berkhan ein Fastenfenster von 14 Stunden vor, so dass 10 Stunden für die Nahrungsaufnahme zur Verfügung stehen.

Während der Fastenphase sind bei Berkhan lediglich schwarzer Kaffee, Süßstoff, Light-Getränke und zuckerfreier Kaugummi vorgesehen. Sollte man morgens im gefasteten Zustand trainieren, empfiehlt Berkhan in seinem ursprünglichen Konzept BCAAs zu trinken, bis das Essensfenster öffnet. Wer diesen Artikel bis hierhin aufmerksam gelesen und insbesondere den Abschnitt zu Intermittent Fasting und dem Muskelaufbau noch im Gedächtnis hat, wird sich darüber im Klaren sein, dass dieses Vorgehen nicht die optimale Wahl für Bodybuilder und Fitnesssportler darstellt. Es mag einfacher sein, sich stumpf an die Uhr zu halten, aber es ist nicht die optimale Art Intermittent Fasting umzusetzen.

Es bedarf einer weiterentwickelten Version, eines Intermittent Fasting 2.0. Genau so nannte ich das 2016 von mir erstmals veröffentlichte Konzept, das im Rahmen meines eingangs genannten Buches „Ernährung für (Kraft-)Sportler“ inzwischen bereits von tausenden Menschen gelesen wurde. Intermittent Fasting 2.0 sieht nach einer vierwöchigen Eingewöhnungsphase kein festes Zeitfenster vor, sondern stellt das Hungergefühl in den Fokus.

Das bedeutet insbesondere, dass nach (nüchternen) Trainingseinheiten am Morgen gegessen wird, sobald das Hungergefühl einsetzt. Man nimmt also nicht unmittelbar nach dem Training seine erste Mahlzeit zu sich, wenn die Durchblutung des Verdauungstrakts noch vermindert ist, sondern wartet ein wenig, bis der leere Magen sich meldet. Dies kann je nach Trainingsintensität aufgrund der Ausschüttung von Stresshormonen während des Trainings unterschiedlich lang dauern, sollte aber in der Regel stets innerhalb der ersten zwei Stunden nach dem Training eintreten.

Darüber hinaus ist die erste Mahlzeit des Tages proteinreich und kohlenhydrat-, sowie fettarm. Dies hat den Hintergrund, dass möglichst wenig Insulin ausgeschüttet werden soll und der Körper noch ein wenig auf die eigenen Reserven zurückgreift, wie im Abschnitt zur Fettverbrennung erklärt wurde. Die letzte Säule von Intermittent Fasting 2.0 stellt schließlich die Speedweek dar. Eine radikale Diät für die Dauer von weniger als einer Woche, innerhalb der es zum maximalen Fettverlust kommt.

Ist Intermittent Fasting für Bodybuilder geeignet?

Ich selbst betreibe Intermittent Fasting 2.0 seit inzwischen gut fünf Jahren und bin in dieser Zeit nicht nur über 20 Marathons gelaufen und habe an diversen Powerlifting-Wettkämpfen erfolgreich teilgenommen, sondern stand auch mehrfach auf der Bodybuildingbühne und konnte mir unter anderem einen dritten Platz bei der GNBF im Herbst 2019 sichern. Funktioniert Intermittent Fasting also für Bodybuilder? In jedem Fall. Auch ein Martin Berkhan ist im Internet in Topform zu finden und Ori Hofmekler mag inzwischen fast 70 Jahre alt sein, konnte aber in früheren Lebensjahren ebenfalls eine sehr gute Form vorweisen.

Letztendlich, und das sollte nie vergessen werden, stellen Zeitfenster für die Nahrungsaufnahme einen letzten Schritt der Optimierung dar, wenn die Basis bereits stimmt. Egal welche Form von Intermittent Fasting man betreibt: Die Kalorienbilanz, das Verhältnis der Makronährstoffe und eine ausreichende Versorgung mit Mikronährstoffen sind die wichtigsten Bestandteile des Fundaments, auf dem man mit Hilfe von intensivem Training und erholsamen Schlaf die Vorstellung des eigenen Traumkörpers realisiert.

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