Washington Post mit investigativem Artikel zu sterbenden Bodybuildern

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Die Washington Post ist zweifelsohne eine der berühmtesten Medienmarken der Welt. Unter ihren Redakteuren scheint in letzter Zeit ein ungewöhnliches Interesse an der Randsportart Bodybuilding ausgebrochen zu sein. Nach einem Enthüllungstitel zu sexueller Ausbeutung weiblicher Athleten in der NPC folgte jetzt im Rahmen der Artikelreihe „Built and Broken“ ein Text zu einem Thema, das die Szene intern schon lange beherrscht: Das frühe Sterben vieler Bodybuilder in zu jungen Jahren.

Sterben für den Wettkampf

Die Artikelüberschrift lautet „Dying to compete“. Ein Wortspiel, das so nur im Englischen funktioniert. Dying to ist eigentlich sinngemäß zu übersetzen mit „Ich würde alles dafür geben“ und hat erstmal nichts mit dem Sterben zu tun. Im Wettkampf-Bodybuilding geht es aber nicht selten um genau das: Athleten nehmen bewusst das Risiko auf, ihren Körper bis an die Grenze der Überlebensfähigkeit zu treiben – oder auch darüber hinaus.

Dieser Umstand ist für die Fans durch regelmäßige Todesfälle nicht übersehbar. Außerhalb der Bodybuilding-Nische hat sich die düsterste Seite des Sports allerdings kaum herumgesprochen. Dass jetzt eine Zeitung vom Rang einer Washington Post diesem Thema so viel Aufmerksamkeit widmet, ist umso bemerkenswerter.

Der am 7. Dezember 2022 erschiene Text ist eine abendfüllende Lektüre. Die Investigativjournalisten haben mehr als 70 Menschen interviewt, Emails und Chatverläufe, Autopsieberichte und Notrufe analysiert. Herausgekommen ist ein Text, der selbst den desillusionierten Fan noch zu schocken weiß.

Sterben immer mehr junge Bodybuilder?

Der Artikel schildert zum Einstieg das Versterben der tschechischen Bodybuilderin Alena Kosinova unmittelbar vor der Europa Pro 2021. Hand aufs Herz: Hattest du mitgekommen, dass es auf dieser Veranstaltung zu einem Todesfall gekommen war? Sofern nicht ein Topstar aus den populären (Männer-)Klassen verstirbt, scheint ein solches Geschehen nicht einmal eine Randnotiz wert zu sein.

Wer denkt, Kosinova hätte nur als reißerischer Einstieg herhalten müssen, irrt. Die Liste von Bodybuildern, deren Tod von den Journalisten analysiert wird, reißt nicht ab. Darunter sind auch bekannte Namen wie George Peterson. Der 212er-Athlet verstarb kurz vor dem Mr. Olympia 2021. Die Polizei fand hunderte verschreibungspflichtige Medikamente in seinem Hotelzimmer, darunter den Fatburner Clenbuterol, der „in den USA nur für Pferde zugelassen ist.“ Auch Bostin Loyd, der noch kurz vor seinem Tod im Februar 2022 seinen Gesundheitszustand mit den Fans geteilt hatte, kommt zur Sprache. Mit 29 Jahren verstarb er mutmaßlich an einem Riss seiner Hauptschlagader.

Es gibt aber auch einige Nachrufe auf unbekannte Athleten aus den Frauenklassen und dem Amateurbereich. Einige von ihnen starben in dem Versuch, die IFBB Pro Card zu gewinnen – für eine Lizenz also, die auch ihren Trägern keinesfalls Ruhm und ein Leben in finanziellem Wohlstand gesichert hätte. Besonders absurd ist die Geschichte einer Mutter, deren Sohn in Vorbereitung auf einen Wettkampf in Kalifornien gestorben war. Als sie Fotos der Medikamente, die bei seinem Leichnam gefunden wurden, an den Veranstalter sendete, lud dieser sie zur Show ein, „um die Reise ihres Sohns zu beenden.“

Ein krankes System

Der Artikel zeigt mehrere Facetten eines an der Wurzel erkrankten Systems auf. Auf Meetings der NPC werde nicht darüber gesprochen, mehr (oder überhaupt) zu testen, sondern stattdessen möglichst viele Notfallhelfer zu den Wettkämpfen zu bestellen. Eine Athletin berichtet, ein Kampfrichter höchstselbst hätte ihr zum Konsum geraten, um konkurrenzfähig zu werden.

Zu den Phänomenen des Sports zählen Trainer, die ohne jede medizinische Ausbildung Medikamente in hohen Dosen verschreiben. Athleten, die es für normal halten, sich kurz vor dem Wettkampf so zu fühlen „als würde der Körper die Lichter ausschalten“ und für die Sponsoren gute Miene zum bösen Spiel machen. Sponsoren ihrerseits, die T-Shirts mit dem Aufdruck verstorbenen Markenbotschaftern verkaufen, nachdem sie deren Drogencocktails finanziert haben. Und so weiter.

Anfang der 90er hatte es Bestrebungen des IFBB gegeben, Dopingtests verbandsintern zu etablieren. Es ginge nicht nur um den Ruf des Sports, sondern um die Gesundheit der Athleten selbst, so der damalige Verbandspräsident Ben Weider. Sehr wahrscheinlich ging es aber auch und vor allen Dingen um eine Anerkennung durch das Internationale Olympische Komitee, um Bodybuilding endlich olympisch zu machen. Die zeitweise Anerkennung des Sports durch das IOC ist 2021 folgenlos ausgelaufen.

Die fehlende Aufmerksamkeit durch die Weltöffentlichkeit wurde intern durch immer extreme Ideale ausgeglichen. Ein sauberes Bodybuilding liegt heute in weiterer Entfernung denn je.

Eine überfällige Offenlegung

Der Artikel der Washington Post verdient Anerkennung. Szeneintern mag das PED-Thema längst enttabuisiert sein. Wir alle haben aber immer noch Verwandte da draußen, die uns beim Betrachten alter Markus Rühl-Aufnahmen ernsthaft fragen „ob der irgendetwas nimmt.“ Insofern leistet „Dying to compete“ überfällige Aufklärungsarbeit.

Vor allem der Hinweis darauf, dass das Problem vor allem in der Vielzahl der gleichzeitig verwendeten Drogen liegt und nicht die halbwegs bekannten Steroide, sondern vor allem Medikamente zur Entwässerung häufig den Tod bedeuten, dürfte viele Menschen erstaunen.

Bleibt natürlich die Frage, ob es nicht jedem freisteht, mit Mitte Dreißig tot in einem Haufen aus Pferdemedikamenten aufgefunden zu werden. Diese ließe sich an sich bejahen, und auch in anderen Sportarten geben Athleten in anonymen Befragungen regelmäßig an, einen Olympiasieg gegen einen Tod innerhalb von fünf Jahren tauschen zu wollen. Vielleicht muss man aber einige Athleten vor sich selbst schützen – durch eine Veränderung des Schönheitsideals oder die Abschaffung falscher Vorbilder.

(uh) | Titelbild: Shutterstock

2 COMMENTS

  1. Xaver

    Ein sehr interessanter und lohnenswerter und längst überfälliger Artikel, der leider seine Wirkung verfehlen wird, denn solange Sponsoren, Verbände und Veranstalter ein Körperbild favorisieren, dass ohne Substanzen nicht und in keinster Weise auf diesem Niveau erreicht werden kann, sie sich alle weigern, diese kranke Entwicklung anzuprangern und sich selbst eine neue Zielorientierung geben, die wenigstens in Richtung „gesunder Sport“ zielt, wird sich da gar nichts ändern! Die Athleten werden von sich aus sicher nichts ändern, denn alle möchten vom Topf der großen Verbände genährt werden und so wie wir lesen, reicht ja der ein oder anderen kleinen Seele schon der Status eines IFBB Profis, um sich als etwas Besonderes im Kreis der „Auserwählten“ zu fühlen. BB ist reiner Kommers – hier wird viel Geld verdient. Wen kümmert da die Gesundheit der Athleten, solange sie Geld für ihre Sponsoren „anschaffen“, ein wenig schnell vergänglichen Ruhm genießen, mittlerweile ja auch nicht mehr elitär sein, wenn man sich die Größe der Klassen beim aktuellen Mr. Olympia ansieht. Der Nimbus der einigen wenigen „Muskelmänner“ sollte im Angesicht der Teilnehmerzahlen ins Reich der Märchen gehören.
    Die Aufgabe liegt nur zu einem kleinen Teil bei den Teilnehmern – die Richtung bestimmen die Großen und die Gläubigen folgen wie in einem Gottesdienst. Krank! Ach ja, sponsort ESN nicht auch Athleten? Wie wäre es, vor der eigenen Haustüre mal zu beginnen? Oder ist Geld wichtiger als Menschen? Darüber schreiben reicht nicht – gemessen wird man an seinen Taten – Oder?