Mehreren Funktionären des weltweit führenden Bodybuilding-Verbandes NPC wurde die sexuelle Ausbeutung weiblicher Athletinnen vorgeworfen. Öffentlich wollten sich Jim und Tyler Manion, Präsident und Vizepräsident des National Physique Committee, nicht zu der Sache äußern. Stattdessen wandten sie sich jetzt in einem offenen Brief an alle NPC-Wettkampfausrichter.
Artikel in der Washington Post bringt Stein ins Rollen
Am 25. Oktober 2022 erschien ein Artikel in der Washington Post, nach dem es für den NPC sehr ungemütlich wurde. In dem Text wird die ehemalige Figure-Athletin und NPC Pro Card-Inhaberin Jennifer Gates zitiert, die ihre eigenen Bikinifotos völlig überraschend auf einer softpornografischen Seite wiederfand.
Das Perfide: Die Fotos waren von ihrem damaligen Manager J.M. Manion geschossen worden, Sohn des NPC-Präsidenten Jim Manion. Gates hatte damals Nacktaufnahmen abgelehnt und gewiss keine Freigabe ihrer Bikinibilder für den pornografischen Kontext erteilt.
Der Vorfall löste eine umfassende Recherche im NPC-Umfeld aus. In Befragungen gaben dutzende von betroffenen Athletinnen und sonstige Szeneinsider zu, dass weibliche Bodybuilderinnen vielfach zu sexualisierten Fotoshootings oder gar sexuellen Dienstleistungen genötigt wurden. Nicht nur der fotografierende Präsidentensohn, sondern auch Kampfrichter werden beschuldigt. Vor allem wurden die Frauen mit einer angedrohten schlechteren Punktebewertung im Falle der Verweigerung erpresst.
Stellungnahme der NPC zu den Vorwürfen der sexuellen Ausbeutung
Jim und Tyler Manion ließen die Anfragen der Washington Post unbeantwortet und wollten auch sonst keine Auskünfte vor der Kamera geben. Ein Brief zur freien Weiterverwendung an alle Ausrichter von Wettkämpfen der NPC und IFBB Pro League sollte es stattdessen richten.
In dem Schreiben wird die Washington Post als „Boulevardmagazin“ verunglimpft, dem man keine Antworten schuldig sei. Der Artikel sei eine Märchenerzählung auf Basis unverlässlicher Quellen. Scheinbar hätten Personen, die nach ihrem eigenen Ausscheiden aus dem Verband diesem bewusst schaden wollten, dem Reporter frei erfundene Geschichten zugespielt.
Doch die Faktenlage ist erdrückend. Die Investigativjournalisten konnten sogar pornografische Webseiten reaktivieren, die J.M. Manion Jahre zuvor wohl doch schuldbewusst gelöscht hatte.
Das Nachspiel für die NPC
Die vermeintliche Gelassenheit der Verantwortlichen schützt nicht vor den großen Wellen, die nun auf die NPC zurollen. Das feministische Frauennetzwerk National Organization for Women hat sich eingeschaltet und fordert eine strafrechtliche Verfolgung der Vorgänge. Erste Wettkampfausrichter haben dem Verband schon den Rücken gekehrt.
Wie viel die angeheuerte Krisenkommunikationsberatung noch retten kann, wird sich zeigen. Das Verhältnis zwischen dem Vater-Sohn-Gespann Jim und J.M. Manion wird derzeit nicht öffentlich thematisiert.
Skandale und Politik sind im Bodybuilding seit Jahrzehnten präsent. Die jüngsten Ereignisse führen die ungelöste Problematik auf eine ganz neue Eskalationsstufe. Schließlich stellt sich nicht nur die Frage, was dies für den Ausrichter des Mr. Olympia bedeutet – sondern auch, wie unbeschadet der gesamte Sport aus der Sache wieder herauskommen kann.
(uh) | Titelbild: Matthias Busse
Wundert mich, dass es erst jetzt herausgekommen ist, wo doch schon länger klar war, dass nicht alles koscher ist