Günter Schlierkamp: Kalifornischer Beachboy made in Germany

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Ein kalifornischer Beachboy, wie er im Buche steht: Eine überaus positive Ausstrahlung, gepaart mit breitem Zahnpastalächeln sowie sehr symmetrischen Muskelbergen. Publikumsliebling, mehrfacher Finalist bei Mr. Olympia-Wettkämpfen und der Bodybuilder, dem es gelang, den großartigen Ronnie Coleman in seiner Glanzzeit zu schlagen – Günter Schlierkamp spielte über Jahre hinweg in der Liga der absoluten Spitzenathleten mit. Wir werfen einen Blick zurück auf die Laufbahn des sympathischen Deutschen.

Aus dem Ruhrgebiet in die USA 

Günter wuchs an der Grenze zum nördlichen Ruhrgebiet auf und wurde, wie viele andere junge Teenager in den frühen achtziger Jahren, von der Faszination Bodybuilding gepackt, als er Conan der Barbar mit dem großen Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle bestaunte. Fortan informierte sich der Schüler aus dem Münsterland mithilfe von Bodybuilding-Magazinen über die Grundlagen seines neuen Lieblingssports und begann in seinem häuslichen Kinderzimmer ambitioniert mit Kurzhanteln zu trainieren.

Angetrieben von immer neuen muskelbepackten Vorbildern, welche dem aufkommenden Action-Genre der Traumfabrik aus Hollywood entsprangen, intensivierte der junge Günter seinen Trainingseifer über die kommenden Jahre. Mit 16 durfte er schlussendlich erstmals ein Fitness-Studio betreten – es bedurfte viel Überzeugungskraft, um seinen Vater dazu zu bringen, den Vertrag zu unterzeichnen. Nach erfolgreich angewendeten Überredungskünsten und schnell aufgekommenem Fokus auf den Wettkampfsport gelang es dem späteren Wahl-Kalifornier bereits zwei Jahre darauf, seine ersten Wettbewerbe zu gewinnen.

Weitere zwei Jahre später konnte man langsam erahnen, dass es für den ambitionierten Junioren-Bodybuilder hoch hinaus gehen könnte. Günter strich 1990 erst die Deutsche Junioren-Meisterschaft und anschließend eine Junioren-Weltmeisterschaft in Spanien ein. Auch der Wechsel zu den Männern verlief äußerst vielversprechend: 1992 wurde der sympathische Riese – 1,85 Meter stellten für einen international erfolgreichen Bodybuilder bereits in den frühen Neunzigern eine echte Hausnummer dar – Schwergewichtsweltmeister bei den Europäischen Amateurmeisterschaften und den Deutschen Meisterschaften in Berlin.

Mit 23 Jahren vollzog Günter den finalen Schritt auf dem Weg ins Profigeschäft: Im südkoreanischen Seoul krönte sich der Münsterländer zum Amateurweltmeister der IFBB im Schwergewicht und durfte sich fortan als Mr. Universum bezeichnen. In der Welt der Profis fasste der Neuling zunächst nur schwer Fuß: Günter gelangte oftmals nicht unter die Top sechs, obgleich ihm stets großes Potential zugesprochen wurde.

1996, also drei Jahre nach dem Beginn seiner Profilaufbahn, entschied sich Günter gemeinsam mit seiner Ex-Frau dazu, alles auf eine Karte zu setzen und in die USA auszuwandern. Das Paar zog es zunächst an die Ostküste, da in New Jersey ein potentieller Sponsor beheimatet war. Der hoffnungsfrohe 26-Jährige ahnte jedoch nicht, dass es sich bei seinem Arbeitgeber in spe um einen windigen Hund handelte, welcher seine Firma bereits aufgrund von Steuerproblemen verloren hatte und lediglich hoffte, mit Günters Hilfe finanziell wieder Boden unter die Füße zu bekommen.

Nachdem das Paar auch noch auf betrügerische Weise um das Ersparte gebracht wurde, stand Günter ohne Job, Sponsor, Geld und feste Bleibe mit einer erzürnten Lebensgefährtin an seiner Seite in der Fremde dar. Er entschied sich dennoch dazu, seinem Traum von einer erfolgreichen Profikarriere in den Staaten nachzugehen und fand im Anschluss immerhin kleinere Jobs und einen nicht gerade lukrativen Sponsor, um sich irgendwie über Wasser zu halten.

Nach einigen harten Monaten an der Ostküste ergab sich schließlich endlich die Möglichkeit, quer durch die USA nach Kalifornien zu ziehen. Günter fasste schnell Fuß im legendären Gold‘s Gym und wurde kurze Zeit später von Joe Weider mit seinem ersten großen Sponsoring-Vertrag ausgestattet. Er verliebte sich nach eigenen Aussagen rasend schnell in exakt das Fleckchen Erde, an dem sein großes Vorbild Arnold gut dreißig Jahre zuvor ebenfalls sein Glück fand.

Auch wenn die Wettkampfplatzierungen weiterhin noch nicht optimal waren – ein Einzug in die Top sechs war stets mehr eine Überraschung als die Erwartungshaltung der Szene – stellte der großgewachsene Blondschopf ein beliebtes Motiv für Fernsehwerbungen und Magazine dar. Eine positive Ausstrahlung, gepaart mit breitem Zahnpastalächeln sowie sehr symmetrischen Muskelbergen – der Europäer verkörperte den kalifornischen Beachboy, wie kaum ein anderer Athlet seiner Zeit.

In den frühen 2000er Jahren gelang dem Gentle Giant dann doch noch der endgültige Durchbruch in die Weltklasse. Beim Mr. Olympia-Wochenende im Jahr 2002 lieferte der Münsterländer das vielleicht beste Paket seiner Karriere ab. Der ohnehin aufgrund seiner immerzu sehr positiven und bodenständigen Art beim Publikum äußerst beliebte Profi zog die Zuschauer bereits beim Prejudging vollends in seinen Bann. Als Günter tags darauf beim Posedown den nicht in Topform  angetretenen Titelträger Ronnie Coleman über die Bühne jagte, erwartete das Publikum einen heißen Zweikampf zwischen dem Wahl-Kalifornier und dem texanischen Ausnahmeathleten – welcher in folgenden beiden Jahren übrigens endlich wieder in atemberaubender Form erschien und sämtliche Zweifel am Fortbestehen seiner Regentschaft pulverisierte.

Günter wurde lediglich fünfter, was einen wahren Reigen an Buhrufen hervorrief. Als der Deutsche sich als fairer Verlierer zeigte und dennoch die Arme hob, riss es nahezu die gesamte Halle von den Sitzen. Waschechte Standing Ovations für einen Fünftplatzierten – in der ruhmreichen Geschichte des Mr. Olympia-Wettbewerbs wurde nur dem sanften Riesen diese Ehre zuteil. Dass sich der Deutsche im Anschluss spontan ans Mikro begab und den Fans für die tolle Unterstützung dankte, katapultierte den Sympathieträger endgültig weltweit in die Herzen der Bodybuilding-Enthusiasten.

Dem Münsterländer gelang es übrigens, diesen aus Sicht des Publikums eher enttäuschenden fünften Rang als einen Erfolg zu verbuchen. Schließlich hatte Günter im Jahr 2001 mit dem fünfzehnten Platz vorlieb nehmen müssen und erreichte sein Ziel, 2002 die Top 6 zu unterwandern, mit Bravour. Außerdem sollte einer seiner größten Triumphe nicht lange auf sich warten lassen: Nur wenige Wochen später kam es im Rahmen der GNC Show of Strength erneut zum Zweikampf mit dem großen Ronnie, doch diesmal behielt der formstarke Deutsche die Oberhand. Günter fuhr seinen ersten und einzigen Sieg bei den Profis ein – ausgerechnet im Duell mit dem als unbesiegbar geltenden Ronnie Coleman.

Im Folgejahr verlor Günter wenige Wochen vor dem Mr. Olympia-Wochenende im Rahmen einer Staphylokokken-Infektion nahezu zehn Kilogramm an Muskelmasse. Die realistische Chance, nach seinem ersten Profisieg und vor allem dem Triumph über Ronnie auch beim wichtigsten Wettbewerb der Welt ganz oben anzugreifen, war dahin. Der Deutsche entschied sich trotzdem dazu, auf die Bühne zu steigen und es gelang ihm sogar in einer tollen Form an den Start zu gehen. Erneut stieß er in die Top 6 vor – er erlangte den fünften Platz – und auch 2004 erreichte er dieses Ziel mit einer Punktlandung.

2005 hatte sich der Münsterländer endgültig von seinem hohen Gewichtsverlust erholt und war wild entschlossen, die Spitze zu attackieren. Wie bereits 2002, donnerte Günter ein wahnsinniges Paket aufs Parkett und begeisterte das Publikum mit seiner Ausstrahlung, den symmetrischen Muskelbergen und seinem klassisch anmutenden Posing. Die Judges favorisierten allerdings erneut noch extremere Ausmaße und platzierten neben den Favoriten Ronnie und Jay Cutler etwas überraschend Gustavo Badell vor dem deutschen Publikumsliebling.

Bereits auf der Bühne war Günter die Enttäuschung anzumerken. Backstage traf er wenige Minuten später auf sein großes Vorbild: Arnold Schwarzenegger. Der Österreicher lobte den Athleten für seine wahnsinnige Form und teilte diesem mit, ihn weiter vorne gesehen zu haben. Spätestens in diesem Moment wurde Günter laut eigenen Aussagen klar, dass ihm der Sprung an die ultimative Spitze von den Judges wohl für alle Zeit vergönnt bleiben würde. Diese Einsicht raubte dem Münsterländer eine gehörige Portion Motivation.

Im Rahmen der Vorbereitung auf den Mr. Olympia-Wettkampf 2006 fehlte dem Deutschen anschließend der Enthusiasmus alter Tage. Im Hinterkopf schwirrte stets mit, dass es eventuell Zeit für einen neuen Abschnitt in der beachtenswerten Karriere des Wahl-Kaliforniers sein könnte. Als es Günter schlussendlich nicht gelang, sich auf der Bühne in bester Verfassung zu präsentieren und er erstmals seit vier Jahren die Top 6 verfehlte (er wurde Zehnter), fiel der Entschluss, dem Wettkampfsport den Rücken zu kehren.

Dem Bodybuilding ist Günter allerdings niemals abhanden gekommen. Auch weit über ein Jahrzehnt nach dem Ende seiner Profikarriere steht der Deutsche voll im Saft, trainiert mehrmals wöchentlich und liebt seinen Sport wie eh und je. Beruflich hat sich der Münsterländer übrigens nicht allzu weit von seinen Wurzeln entfernt: Mit seiner neuen Ehefrau Kim betreibt er ein Fitness-Studio unter der kalifornischen Sonne, reist regelmäßig für Seminare rund um die Welt und widmet sich darüber hinaus weiteren bodybuildingnahen Geschäftsideen. Privat bezeichnet sich Günter als einen glücklichen Familienmenschen.

Autor: Nico Schmidt – Quelle Bilder: Günter Schlierkampgetty imagesThe Muscletime ArchivesFLEX Magazine

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