Aus dem Temple Gym an die Weltspitze. Die Karriere des Dorian Yates

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Dorian Yates: Ein Schatten, der den Thron erklomm

Sechsfacher Mr. Olympia, Vorreiter der High Intensity-Philosophie und der letzte Europäer auf dem absoluten Gipfel: Der Engländer Dorian Yates versprüht noch heute, über zwanzig Jahre nach dem Ende seiner aktiven Karriere, ein großes Maß an Faszination. Während andere Legenden wie Arnold Schwarzenegger, Lee Haney oder Phil Heath irgendwie immer einen Teil des öffentlichen Lebens darstellten, lebte und trainierte der Brite stets abgeschottet im heimischen Birmingham. Ein Schatten, der urplötzlich auftauchte, um die Konkurrenz, das Publikum und die Judges zu schocken. Wir werfen einen Blick zurück auf seine Laufbahn.

Als sich Dorian Yates 1983 dazu entschloss, Bodybuilding zu betreiben, war ihm von Beginn an klar, sich einem Wettkampfsport verschrieben zu haben. Der damals 21-jährige war nach eigenen Angaben bereits im Vorfeld sehr zufrieden mit seiner ästhetischen Erscheinung und doch faszinierte ihn der bloße Gedanke, seinen Körper zu optimieren.

Dorian war ein Perfektionist. Noch heute existieren Aufzeichnungen jedes einzelnen Trainings zwischen 1983 und 1997 – auch sämtliche Ernährungspläne befinden sich noch im Fundus des Briten. Diese Herangehensweise erlaubte ihm, Dinge partiell zu verändern und aufgrund der gründlichen Dokumentation zu erforschen, welchen Effekt genau eine vorangegangene Maßnahme erzielte. Der noch heute sehr beliebte Ex-Pro änderte stets nur eine einzige Sache und wartete geduldig auf die Auswirkungen. Konnten positive Effekte beobachtet werden, wurden die neuen Dinge beibehalten – diese pragmatische Methode sollte sich auszahlen.

Während die meisten Spitzenathleten der neunziger Jahre in Kalifornien lebten und trainieren, blieb Dorian in seiner Heimatstadt Birmingham sesshaft. Er hatte keinen Coach und tat sich nach eigenen Angaben schwer damit, anderen lokalen Bodybuildern zu vertrauen. So las er zahlreiche Bücher über Training und Ernährung, verfuhr nach dem oben bereits erwähnten Trial and Error-Verfahren und probierte viele Dinge einfach aus. Natürlich warfen ihm andere Trainierende zu Beginn seiner Karriere zweifelnde Blicke zu und klärten ihn regelmäßig über vermeintliche Undinge auf, doch Dorian ließ sich nie beirren.

Hätte der Engländer damals auf seine nationalen Kollegen gehört, wäre er wohl niemals über den großen Teich geflogen, um sich mit der Weltspitze zu messen. Dorian erzählte kürzlich in einem Interview, dass europäische Bodybuilder zu Beginn der Neunziger häufiger über Lee Haney und Co. sprachen, als hätten diese acht Arme und Beine gehabt und wären absolut unbezwingbar gewesen. Mit dieser Einstellung wollte sich der spätere Champion allerdings nicht anfreunden. Natürlich war ihm bewusst, dass kalifornische Gyms in Puncto Ausrüstung das internationale Maß aller Dinge waren und die Verfügbarkeit von Supplements in den USA deutlich großzügiger ausfiel als in Großbritannien. Aber Dorian wollte diese Ausreden nicht gelten lassen.

Nachdem der aufstrebende Athlet 1988 den Gesamtsieg bei den Britischen Meisterschaften errungen hatte, war es Zeit, sich mit den großen Jungs zu messen. Wieder begegnete ihm viel Schwarzmalerei: Europäische Kollegen warnten ihn vor der potentiellen Bevorzugung amerikanischer Bodybuilder und gaben zu Bedenken, dass keiner der Judges jemals von Dorian gehört hatte – schließlich hatte er sich bis zu diesem Zeitpunkt für kein Magazin ablichten lassen und war international gesehen ein absoluter Niemand. Der Engländer pflegte allerdings stets zu antworten, in bestmöglicher Verfassung antreten zu wollen und wies darauf hin, dass es wohl kaum möglich sei, jemanden unter den Teppich zu kehren, der die Halle in Erstaunen versetzt und für sich gewinnt. Wie Recht er haben sollte!

Den ersten Auftritt als Profi absolvierte Dorian 1990 im Rahmen der Night of Champions (dem Vorgänger der New York Pro). Ein großes Starterfeld, klangvolle Namen und ein stimmungsvolles Publikum – der ultimative Gradmesser in Sachen Karriereplanung. Keine fünf Minuten nach Betreten der Bühne tönte „ Dorian, Dorian!“ durch die Halle. Der neue Liebling der Massen wurde Zweiter und kehrte mit der Gewissheit ins Vereinigte Königreich zurück, im Konzert der Großen mitspielen zu können.

Doch was zeichnete den urplötzlich aus dem Nichts erschienenen Europäer aus? Härte und Proportionen waren sicherlich außergewöhnlich gut, besonders gepaart mit einer aus damaligen Sicht schier unglaublichen Muskelmasse war Dorian allerdings eine diesbezüglich bis dahin unbekannte Erscheinung. Bis zu 120 Kilogramm Wettkampfgewicht sowie ein Körperfettanteil von unter 3% bei einer Körpergröße von nicht einmal 1,80 Metern – neben dem ersten Massemonster der Geschichte sah die Konkurrenz besonders Mitte der Neunziger Jahre blass aus.

Dorian hob häufig heraus, dass es ihm immer wichtig war, Bodybuildern aus leichteren Gewichtsklassen oder dem Amateurbereich in Sachen Form und Härte in Nichts nachzustehen. Er war der Meinung, der beste Athlet seiner Lieblingssportart sollte nicht nur über die herausragendste Muskelmasse verfügen, sondern auch über die beeindruckendste Form.

Ein Jahr nach seinem erfolgversprechenden Debüt kehrte der Brite nach New York zurück, um den Wettbewerb schließlich zu gewinnen und sich für Mr. Olympia 1991 zu qualifizieren. Nur der großartige Lee Haney konnte Dorian anschließend im Rahmen seines achten und damit letzten Triumphs beim wichtigsten Wettbewerb der Welt hinten sich lassen – es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass der künftige Champion einen Pro-Wettkampf nicht als Sieger verließ.

In den folgenden sechs Jahren blieb es stets beim selben Muster: Dorian kam, sah und siegte. Während die Konkurrenz ihn immerzu jagte, fiel es ihm stetig schwerer, sich zu neuen Höchstleistungen anzuspornen. Als die Anzahl der Verletzungen anstieg, begann der Brite zunehmend, den Spaß an seiner Passion zu verlieren. Aus der Leidenschaft wurde nach eigenen Aussagen ein Job. Nur knapp drei Wochen nach seinem letzten Triumph beim Mr. Olympia 1997 führte ein Trizeps-Abriss schlussendlich zur Entscheidung, die glorreiche Karriere zu beenden. Der Champion trat auf dem Höhepunkt ab.

Zwischen 1991 und 1997 stellte Dorian allerdings ein nahezu mystisches Phänomen dar: Während so gut wie alle Top-Bodybuilder in Kalifornien oder zumindest den USA lebten, trainierten und sich regelmäßig ablichten ließen, verschwand der zurückhaltende Engländer nach einem Wettkampf immer wieder augenblicklich aus den Augen der Öffentlichkeit und seiner Konkurrenten. Man sah und hörte mehrere Monate lang rein gar nichts vom Triumphator, da dieser sich in sein legendäres Temple Gym zurückzog und hart arbeitete. Niemand konnte abschätzen, in welcher Form sich der dominante Brite vor einem Wettkampf befand. Hatte er nachgelassen und man konnte ihm endlich das Wasser reichen? Oder gelang es dem Sonderling sogar, weiter zuzulegen? Die eingefleischte Gemeinschaft rund um das Gold‘s Gym in Venice Beach tappte stets im Dunkeln. Dieser Umstand brachte ihm seinen Spitzennamen The Shadow (Der Schatten) ein.

Photo by Kevin Horton

Dorian vermutete später, dass dieses Verhalten und sein Ruf als Schatten durchaus psychologischen Einfluss auf seine Konkurrenz, die Judges und das Publikum gehabt haben dürfte. Seine Gegner waren verunsichert, das Publikum gierte nach seltenen Blicken auf den Ausnahmeathleten und die Richter konnten sich besagter Faszination ebenfalls wohl kaum gänzlich entziehen. Der Brite trieb die Sache auf die Spitze: Er behielt seine Kleidung bewusst hinter der Bühne bis unmittelbar vor dem Gang nach draußen an, um eine gewisse Nervosität bei den anderen Wettbewerbern hervorzurufen. Er spürte laut eigenen Aussagen die gespannten Blicke der anderen Jungs und nahm eine steigende Unruhe in ihrem Verhalten war, da sogar wenige Minuten vor dem Wettkampf niemand wusste, wie es um die Form des Titelverteidigers stand. Wenn er dann schließlich aus seinen Klamotten stieg und sich einmal mehr in außergewöhnlicher Verfassung präsentierte, war die Ernüchterung seiner Konkurrenz quasi greifbar.

Doch was trieb Dorian eigentlich während den isolierten Monaten im Temple Gym? Was unterschied ihn von den US-Amerikanern in Kalifornien? In Sachen Trainingsphilosophie ließ sich der Engländer besonders von seinem späteren Freund Mike Mentzer inspirieren. Mike gehörte Ende der Siebziger Jahre zu den besten Bodybuildern des Planeten und war einer der ersten Topathleten, die das damals neuartige High Intensity Training dem herkömmlichen Volumentraining vorzogen und öffentlich für die innovative Methode warben.

Der Engländer nahm die Marschroute High Intensity überaus wörtlich und hievte diese auf ein bis Dato unbekanntes Level. Trainingseinheiten mit Dorian waren bei vielen Kollegen, die das Glück hatten, zumindest wenige Male mit ihm trainieren zu dürfen, gefürchtet. Gewicht, Ausführung, Kürze der Pausen – jeder Aspekt wurde bis zur maximalen Intensität ausgereizt. Die Einheiten waren kurz, für Normalsterbliche allerdings kaum zu bewältigen. In Blood And Guts, einer 1996 auf den Markt gekommenen VHS-Kassette, präsentierte der Star seinen Fans die Trainingsmethoden – Geschichten über sich übergebende Trainingspartner oder fluchtartig das Studio verlassende Konkurrenten, um neben dem Champ nicht wie ein Weichei auszusehen, erschienen nun plötzlich noch ein Stück weit glaubwürdiger.

Dorian mit seiner Frau Gal Yates (Seit 10 Jahren verheiratet)

In Zeiten seiner aktiven Laufbahn war Dorian davon abgesehen eher medienscheu. Er trat so gut wie niemals im Fernsehen auf und gab nur selten Interviews in herkömmlichen Zeitungen oder anderen eingesessenen Medien. Natürlich war der Brite in Bodybuilding-Magazinen präsent und lieferte sich Mitte der Neunziger Jahre über diese auch die legendäre Grundsatzdebatte über die Entwicklungen seiner Lieblingssportart mit Arnold Schwarzenegger, doch davon abgesehen begleitete den Engländer ein tiefes Misstrauen gegenüber der öffentlichen Berichterstattung. Besagte Medienscheue ließ über die Jahre nach. Wann immer der sechsfache Mr. Olympia über Bodybuilding sprach, folgte in der Regel eine sehr positive Resonanz der Zuhörer. Daneben gab der Engländer mehrfach zu Protokoll, Anhänger verschiedener Verschwörungstheorien zu sein.

Nach 1997 blieb Dorian dem Bodybuilding treu. Noch heute trainiert er mehrfach die Woche, betreut seine Supplement-Linie DY Nutrition und veranstaltet weltweit Seminare. Auch über zwanzig Jahre nach dem Ende seiner aktiven Karriere begleitet ihn das Image eines harten Arbeiters mit außergewöhnlichen Herangehensweisen. Der Schatten ist in der Öffentlichkeit präsenter denn je, doch irgendwie wird Dorian Yates wohl – glücklicher Weise – für immer ein Stück weit das mystische Phänomen vergangener Tage bleiben.

Bilder: Kevin HortonGal YatesDorian YatesFLEX Magazine

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