Der Effekt von Kohlenhydraten und Protein am Abend
Jeder, der nicht erst seit gestern trainiert, weiß, dass eine proteinbetonte Ernährung nötig ist, um optimal Muskulatur aufzubauen. Kohlenhydrate sind weiterhin unerlässlich für die nötige Energie und einen guten Pump. Allerdings ist dabei nicht die pure Menge der aufgenommenen Energieträger entscheidend. Das Mahlzeiten-Timing spielt vor allem bei fortgeschrittenen Bodybuildern und Kraftsportlern durchaus eine Rolle. Das bekannte „anabole Fenster“ nach dem Training ist dabei nur eine von mehreren Optimierungsmöglichkeiten.
Nutrient Timing
Bei Nutrient Timing geht es allgemein darum, durch den Zeitpunkt der Energie- und Nährstoffaufnahme deinen Trainingserfolg zu optimieren.
Bevor du dir jedoch Sorgen um das perfekte Timing deiner Mahlzeiten machst, ist es wichtig, dass die Gesamtmengen der Kalorien sowie der einzelnen Makronährstoffe über den Tag verteilt stimmen. Wenn deine Kalorienbilanz und deine generelle Makronährstoffverteilung nicht zu deinen Zielen passen, so wirst du auch mit dem besten Nutrient Timing keinen Erfolg haben können. Für fortgeschrittene Trainierende und Profis birgt der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme allerdings zusätzliches Potenzial und kann die Regeneration sowie die Trainingsleistung massiv beeinflussen – vor allem bei Kohlenhydraten und Proteinen.
Oldschool muss nicht sein
Das Prinzip des Mahlzeiten-Timings ist alles andere als neu. Bereits vor Jahrzenten begannen Bodybuilder sechs bis acht Mahlzeiten täglich zu essen und diese präzise aufeinander abzustimmen, um ständig Energie aufnehmen zu können und die Proteinsynthese am Laufen zu halten. Aus dieser Zeit stammt vermutlich auch die Annahme, dass der menschliche Körper nur ca. 30 Gramm Eiweiß auf einmal aufnehmen kann. Mittlerweile ist bekannt, dass der Körper sich schon allein evolutionstechnisch gesehen eine solche Nährstoffverschwendung gar nicht leisten kann. Die Verwertung des Proteins dauert vermutlich einfach nur länger. Dieses Vorgehen kann für Bodybuilder, die mit leistungssteigernden Mitteln arbeiten trotzdem immer noch sinnvoll sein, damit der erhöhte Energiebedarf gedeckt werden kann und weil eine höhere Eiweißmenge sinnvoll ausgenutzt werden kann.
Für die allermeisten Trainierenden ist so eine strenge Herangehensweise jedoch nicht notwendig, solange die individuell sinnvollen Zufuhrmengen erreicht werden. Ein cleveres Timing kann trotzdem nützlich sein, um den Effekt der Nährstoffe zu optimieren.
Das anabole Fenster
Vielen Trainierenden ist bekannt, dass die Zeit direkt nach dem Training besonders geeignet ist, um Nährstoffe zuzuführen, da der Körper in diesem Zustand sensitiver auf Nahrungszufuhr reagiert und die Nahrungsbestandteile effizient aufnehmen kann. Dieses anabole Fenster auszunutzen ergibt daher durchaus Sinn. Du solltest also bald nach dem Training einen Post-Workout-Shake zu dir nehmen oder eine Mahlzeit essen, um bestmöglich von den darin enthaltenen Nährstoffen zu profitieren.
Dass sich das anabole Fenster bereits 30 Minuten nach dem Training schließt und danach kein Mehrwert einer Nahrungszufuhr auf die anabole Stoffwechsellage mehr besteht, ist allerdings ein Mythos. Vielmehr arbeitet dein Körper auch noch Stunden nach dem Training auf Hochtouren, verbrennt Energie, triggert die Proteinsynthese und lagert Glykogen ein. Daher ist auch einige Stunden nach dem Training noch durchaus eine Post-Workout-Mahlzeit sinnvoll und wichtig.
Esse zu Abend wie ein Kaiser
Neben dem anabolen Fenster gibt es allerdings noch weitere Tageszeiten, zu denen eine Zufuhr von Kohlenhydraten und Protein zusätzlichen ratsam ist. Neuere Studien konnten zeigen, dass vor allem der Nachtschlaf eine stark katabole Stoffwechsellage mit sich bringt, die sich im Allgemeinen auch nur schwer vermeiden lässt, wenn du nicht gerade einen Wecker stellst, um nachts deinen Kühlschrank aufzusuchen. So ließ sich feststellen, dass die Proteinbilanz, also das Verhältnis aus Proteinsynthese und Proteinabbau, nachts negativ wurde und damit einen katabolen Zustand darstellt. Dies galt selbst, wenn die Proteinbilanz den Tag über ausgeglichen oder sogar positiv war (Trommelen und Kollegen 2016).
Eine proteinreiche Mahlzeit am Abend konnte dagegen die Netto-Proteinbilanz in der Nacht umkehren und positive Werte erreichen. Damit ist, abgesehen von der Zeit direkt nach dem Training, vor allem die Zeit vor dem Zubettgehen eine sensible Phase für die Proteinzufuhr. Die Studie zeigte daher weiterhin, dass eine proteinreiche Abendmahlzeit direkt nach dem abendlichen Training die Vorteile des anabolen Fensters und die der „pre-sleep-protein-consumption“ vereinte. Die Aminosäuren der Proteine sorgten in dieser Kombination für eine positive Proteinbilanz und gleichzeitig dafür, dass die Aminosäuren auch tatsächlich der Muskelproteinsynthese dienen. Um diese Effekte zu erzielen, solltest du laut aktueller Studienlage abends mindestens 40 Gramm Protein zu dir nehmen – und nein, es muss nicht unbedingt Casein sein.
Doch auch bei der Kohlenhydratzufuhr kann das Timing einen Unterschied machen. Wir verwenden Kohlenhydrate als Energieträger z.B. während des Trainings und profitieren daher von gefüllten Glykogen-Depots. Nach einer Trainingseinheit sollten diese schnell wieder aufgefüllt werden. Dies gelingt, ebenso wie beim Protein, gut während des anabolen Fensters. Dort sind vor allem kurzkettige Kohlenhydrate in einer Menge von 0.8 g/kg/h zielführend. Optimaler Weise unterstützt die gemeinsamen Zufuhr von Kohlenhydraten mit Protein (0,2-0,4 g /Kg /h) die Glykogenspeicherung. Doch auch die Abendmahlzeit sollte wieder reich an Kohlenhydraten sein, jedoch diesmal einen geringeren glykämischen Index aufweisen, um die Speicherung zu optimieren. Insgesamt maximiert eine Aufnahme von 8-12g Kohlenhydraten pro Kilogramm Körpergewicht die Speicherung von Glykogen. Dabei solltest du jedoch unbedingt die Gesamtkalorien im Auge behalten und davon ausgehen, dass bei einer normalen (Bodybuilding-) Ernährung deine Glykogenspeicher im Normalfall (auch nach dem Training) nicht ganz leer werden. Weiterhin hängt die Entleerung der Glykogenspeicher auch stark von der Trainingshäufigkeit, der Trainingsdauer und dem Gesamtvolumen ab und steigt mit diesen Faktoren an. Die Gesamtmenge an Kohlenhydraten sollten an deine gesamte Situation angepasst werden.
Unabhängig der Gesamtmenge, die für den Einzelnen ideal ist, erscheint es dennoch sinnvoll den größten Anteil der Kohlenhydrate am Abend zu essen. Zwar hat auch die Gabe von kurzkettigen Kohlenhydraten vor und während des Trainings positive Effekte auf die Trainingsleistung, jedoch funktionieren diese Energielieferanten eher über den Blutzucker als über die Glykogenspeicher, da die Auffüllung von Glykogen mehr Zeit benötigt. Daher ist eine abendliche Zufuhr von Kohlenhydraten eine gute Möglichkeit, die Trainingsleistung des Folgetags positiv zu beeinflussen. Je nachdem, zu welcher Tageszeit du trainierst, haben die Kohlenhydrate, die du am selben Tag verzehrst, nur noch moderierenden Einfluss auf die Glykogenspeicher und die Trainingsleistung.
Fazit
Die letzte Mahlzeit des Tages bietet besonders Potenzial, um die nächtliche Proteinbilanz zu verbessern, sowie die Glykogenspeicher aufzufüllen. Während die Proteinbilanz relevant, aber nicht direkt spürbar ist, kannst du durch eine Optimierung der Kohlenhydratzufuhr direkt deine Trainingsleistung verbessern. Nutze daher das anabole Fenster UND die letzte Abendmahlzeit intelligent und hole das Beste aus deinem Training heraus.
Autor: Alexander Seifried