Nach jedem großen sportlichen Wettkampf beginnt die Phase der Analysen, so auch nach dem Mr. Olympia 2022. Dabei könnte sich niemand aufschlussreicher über die erstaunlichen Resultate des Men’s Bodybuilding äußern als der Head Judge Steve Weinberger höchstpersönlich. Auf dem hauseigenen YouTube-Channel OlympiaTV erklärt der Kampfrichter gemeinsam mit Starcoach Hany Rambod und Olympia-Jurymitglied Terrick El Guindy, warum Big Ramy die Titelverteidigung so klar verfehlte, und gibt Prognosen für die kommenden Jahre.
Big Ramy war die Enttäuschung des Mr. Olympia 2022
Wer beim Mr. Olympia als Titelverteidiger antritt, bekommt traditionell auch in der schlechtesten Verfassung zumindest die Bronzemedaille zugesprochen. Nicht so in diesem Jahr: Mit Platz fünf erlebte der zuvor zweimal in Serie siegreiche Big Ramy einen regelrechten Absturz. In den Augen des Headjudges Steve Weinberger vollkommen zurecht.
Der US-Amerikaner zeigt sich im Gespräch offen enttäuscht von den Leistungen des Ägypters und lässt kein gutes Haar an ihm. Weder seine Beine noch sein Rücken seien eines Mr. Olympia würdig gewesen, von seiner Form ganz zu schweigen. Er sei „nicht der echte Ramy gewesen, den wir kennen.“ An seine bisherige Bestform von 2020 konnte Big Ramy nicht im Entferntesten anknüpfen.
Steve Weinberger vermutet gar eine Rücken- oder Schulterverletzung, die Ramy ausbremst. Der Athlet selbst versprach in aktuellen Videostatements, seine Schwächen ernsthaft attackieren zu wollen. Die Anerkennung Weinbergers wird er sich in jedem Fall mühsam wieder erarbeiten müssen.
Das enge Rennen zwischen Hadi Choopan und Derek Lunsford
Der Kenner konnte es schon im Prejudging auf Anhieb erkennen: Der Kampf um den Titel würde sich zwischen Hadi Choopan und Derek Lunsford abspielen.
Auch Steve Weinberger hatte sofort Hadi Choopan ganz oben auf der Liste seiner Top 6, die er nach dem ersten Eindruck immer spontan anfertigt. Der Iraner sei mit verbesserter Muskelmasse und steinharter Kondition sofort aufgefallen – in den Augen des Kampfrichters ein perfekter Athlet ohne irgendeine Schwäche.
Natürlich äußert sich der Head Judge auch zum Zweitplatzierten Derek Lunsford, der Hadi Choopan in der Vorwahl um gerade einmal einen Punkt unterlag. Wie andere Beobachter vor ihm begründet auch Steve Weinberger die knappe Niederlage mit der noch fehlenden Muskelreife des ehemaligen 212er-Athleten, die dazu führte, dass er das Posing im Zeitverlauf nicht mehr perfekt halten konnte. Für Choopan hatte am Ende auch gesprochen, dass er vom Prejudging am Freitag bis zum Finale mehr Konstanz zeigte.
Wird Nick Walker der nächste Mr. Olympia?
Begeistert zeigte sich Steve Weinberger auch von Nick Walker, der es diesmal auf den Bronzerang schaffte. Walker hätte im vergangenen Jahr Masse zugelegt, ohne dabei seine Linie einzubüßen. Sollte ihm dieses Kunststück neuerlich gelingen, gehöre er todsicher zu den Kandidaten für den Mr. Olympia-Titel.
Dem nächsten Ramy-Bezwinger Brandon Curry auf Platz vier empfiehlt Weinberger vor allem eine Verbesserung seiner Beine. Dass sich der Mr. Olympia von 2019 hierdurch die Sandow zurückerobern könnte, spricht er dabei nicht aus. Für 2023 sagt er ein Rennen zwischen dem diesjährigen Podium aus Hadi Choopan, Derek Lunsford und Nick Walker voraus.
Der in diesem Jahr gesetzte Trend wird sich also fortsetzen: Linie, Symmetrie und Kondition werden von den Kampfrichtern weiterhin besonders honoriert werden. Die offene Klasse bietet den Fans wieder ein ansehnliches Starterfeld und endlich auch wieder einen offenen Ausgang. Zu den derzeitigen Topplatzierten kommen zudem die vielen nachrückenden Talente. So ist eines sicher: Es wird es im Men’s Bodybuilding spannend bleiben.
(uh) | Titelbild: Instagram, Youtube & Instagram