Große Show für kleine Männer: die Geschichte der 212er-Klasse

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Bodybuilding ist längst mehr keine junge Trendsportart. Dennoch befindet sich Bodybuilding scheinbar permanent in einer Findungsphase. Das Herumexperimentieren mit neue Klassen soll dem Zeitgeist gerecht werden. Die Einführung der 212er bietet, im wahrsten Sinne des Wortes, Athleten eine Bühne, die mit den „Massemonstern“ der Offenen nicht konkurrieren können. Wir blicken zurück auf ihre Entstehungsgeschichte.

Die Kriterien der 212er

Die 212er-Klasse des IFBB ist eine spezielle Variante des Men’s Bodybuilding. Wie ihr Name vermuten lässt, dürfen die Teilnehmer ein Gewichtslimit von 212 Pfund, bzw. 96,6 Kilogramm, nicht überschreiten.

Ansonsten sind die Regularien mit denen der offenen Klasse identisch. Es gibt acht Pflichtposen und den gleichen vorgeschriebenen Ablauf aus Line-up, Callouts und Finale. Auch die Kleiderordnung unterscheidet sich nicht. Bewertet werden wie auch in der Men’s Open Muskelmasse, Konditionierung, Teilung und Linie.

Welchen Zweck erfüllt die 212er?

Die gewichtslimitierte Klasse wurde für kleinere Bodybuilder eingeführt, die gegen die Wucht eines massigen, hochgewachsenen Athleten keine Chance haben. Ursprünglich war auch eine maximale Körpergröße von 1,66 Meter vorgesehen, die heute aber keinen Bestand mehr hat.

Die 212er-Klasse wird vor allem dem Verlangen nach einem ästhetischeren Bodybuilding jenseits der Verschwendungssucht der vergangenen Jahrzehnte gerecht. Parallel zu den „Freaks“ der offenen Klasse sollen Kategorien existieren, die auch den Mainstream ansprechen. Auch der Wunsch nach einem gesünderen, oder zumindest weniger gefährlichen Sport, spielt hierbei eine immer wichtigere Rolle.

Die Vorgänger: Gewichtsteilung in den 70er-Jahren

In den Anfangsjahren des Bodybuildings herrschte noch ein gewisser Wildwuchs, in dem sich allerhand Männer von ganz unterschiedlicher Qualität versuchten. Mit zunehmender Professionalisierung sollten Wettkämpfe ansehnlicher, spannender und strukturierter durchgeführt werden.

Die erste Einteilung in Gewichtsklassen wurde in den 70er-Jahren vorgenommen. Von 1974 bis 1979 gab es zwei Divisionen: Eine für Männer mit einem Körpergewicht unter 200 Pfund (ca. 90 kg) und eine für Männer über 200 Pfund.

Die Aufspaltung wurde nach Protesten der Wettkämpfer nach nur sechs Jahren wieder abgeschafft. Ein kurzes Aufbäumen von Arnold Schwarzenegger auf dem Mr. Olympia 1980 änderte daran nichts – Bodybuilding blieb für die nächsten 28 Jahre ein Einheitsbrei.

Die Vorgänger der 212er

Der Vorgänger der 212er war die 202er-Klasse. Diese wurde 2008 eingeführt. Im Gegensatz zum ersten Versuch der Gewichtseinteilung erfreute sie die Unterscheidung diesmal sowohl unter den Athleten als auch bei den Fans großer Beliebtheit. Auch auf dem Mr. Olympia zählte die Division schon bald zu den Zuschauerlieblingen.

Das einmalige Experiment einer 210er-Klasse auf der Europa Super Show 2008 wurde nicht weiterverfolgt. Die 202er hatte bis 2012 Bestand.

Trotz der guten Resonanz entschied sich der IFBB für eine Erhöhung des Gewichtslimits. Es stellte sich heraus, dass auch viele sehr kleine Athleten ihre beste Leistung zwischen 205 und 210 lbs Körpergewicht zeigten. Einige Leistungsträger der Klasse wie der dreimalige Mr. Olympia-Sieger Kevin English hatten genug von der angezogenen Handbremse und drohten mit dem Wechsel in die Offene. Von der Regeländerung erhoffte man sich auch den umgekehrten Umstieg leichterer Schwergewichtler in die 212er, und davon ausgehend noch mehr Qualität im Starterfeld.

Die Premiere der 212er

Die 212er feierte ihre Premiere auf der Sacramento Pro 2011. Der erste Profisieg in der neuen Klasse ging an den US-Amerikaner Stan McQuay.

Auf dem Mr. Olympia wurde die 212er das erste Mal 2012 angeboten. Die Uraufführung gilt auch gleichzeitig als eine der spannendsten Wettkämpfe in der noch jungen Geschichte der Division.

In einem mit 16 Teilnehmern stark besetzte Feld gab es mit Flex Lewis, Eduardo Correa, Jose Raymond und David Henry gleich vier heiße Titelanwärter. Platz eins ging schließlich an Lewis. Das Kampfgericht belohnte den weniger massiven und harten, dafür aber umso ästhetischeren Look des Siegers. Der Brite siegte daraufhin sieben Mal in Folge, ehe er 2019 von Kamal Elgarni abgelöst wurde.

Lewis kündigte nach seinem letzten Auftritt auf dem Mr. Olympia an, seine Karriere im Open Bodybuilding fortsetzen zu wollen. Hierzu ist es jedoch nie gekommen. 2022 gab Flex Lewis seinen vollständigen Rücktritt vom Wettkampfsport bekannt.

 212er vs. Classic Physique

Hinter der Einführung immer neuer Klassen steht der Wunsch nach Wachstum und Zulauf. Die einst sehr spitze Zielgruppe des Bodybuildings soll wesentlich breiter werden. Und das Konzept geht im Wesentlichen auf. Die Bikiniklasse hat einen regelrechten Boom unter den weiblichen Athleten ausgelöst. Und auch bei den Männern hat sich der schon häufig totgesagte Sport dank Diversifikation immer wieder neu erfunden.

Die 212er hat dabei 2008 den Anfang gemacht. Es folgte die 2013 gestartete Men’s Physique. Die vielfach etwas geringschätzig als „Badehosen-Klasse“ bezeichnete Kategorie ist keinesfalls ein Misserfolg, trifft aber auch aus offensichtlichen Gründen nicht jedermanns Geschmack.

Dagegen hat sich die 2016 eingeführte Classic Physique zum absoluten Kassenschlager entwickelt. Hier gibt es im Gegensatz zur 212er kein einheitliches Maximalgewicht, sondern ein Gewichtslimit in Abhängigkeit von der Körpergröße. Die Klasse bietet daher ein im Schnitt noch schöneres Lineup als das doch recht gedrungene Starterfeld der 212er.

Die Classic Physique zieht Teilnehmer und Fans an wie das Licht die Fliegen. In puncto Aufmerksamkeit macht sie sogar der offenen Klasse ernsthafte Konkurrenz. Die 212er lässt sie dagegen ein wenig in den Hintergrund rücken. Um dies mit Zahlen zu verdeutlichen: 2022 wurde die Classic Physique auf 51 Profiwettkämpfen angeboten, die 212er dagegen nur auf 27.

Unter anderem verzichten auch die Veranstalter der Arnold Classic in Ohio, die nach dem Mr. Olympia wichtigste Wettkampfserie des IFBB, schon seit 2018 auf die 212er. Kürzlich wurde verkündet, dass es auch im kommenden Jahr keine Wiedereinführung geben wird. Das enttäuschte Echo der Fans zeigt immerhin, dass die Klasse genug treue Anhänger gefunden hat.

Eine Klasse mit Klasse

Die Klasse der kleinen Männer hat zweifelsohne ihre Daseinsberechtigung. Das strenge Gewichtslimit verhindert, dass Athleten in schlechter Form auflaufen, wie es in der Offenen nicht selten passiert. Wer in der 212er starten will, muss seine Hausaufgaben gemacht haben.

Es ist zudem schade, dass die IFBB die große Strahlkraft der leichteren Klassen monetär (noch) nicht würdigt. Auf dem letzten Mr. Olympia 2021 kassierte „Big Ramy“ als Sieger der offenen Klasse satte 400.000 Dollar Preisgeld, während an Chris Bumstead (Classic Physique), Brandon Hendrickson (Men’s Physique) und Derek Lunsford (212er) nur jeweils 50.000 Dollar ausgeschüttet wurden.

Die Deutschen Vertreter in der 212er

Mit Steve Benthin ist Deutschland derzeit erfolgreich in der 212er vertreten. „Mr. M“ ist bislang zwölfmal in der Klasse gestartet und konnte schon mehrere Final- und Podest-Platzierungen sowie zwei Teilnahmen am Mr. Olympia einheimsen.

Auch Ronny Rockel, einer der erfolgreichsten deutschen Bodybuilder aller Zeiten und unter anderem Finallist in der offenen Klasse des Mr. Olympia, startete zum Ende seiner Karriere als 212er. Für den 1,68 Meter großen Sachsen bedeutete die limitierte Klasse ein dankenswertes Abschiedsgeschenk und bescherte ihm noch einige Profi-Siege im Spätherbst seiner Laufbahn.

Natürlich ist auch der umgekehrte Weg möglich: In diesem Jahr gab Enrico Hoffmann bekannt, von der 212er in die Offene zu wechseln, nachdem er noch bei 110 Kilogramm eine fast bühnenfertige Form zeigen konnte.

Wie es dagegen mit der 212er-Klasse in Zukunft weitergehen wird, muss die Zeit zeigen. Die Tatsache, dass Champs wie Derek Lunsford und Shaun Clarida in die offene Klasse streben, verdeutlicht, dass die Strahlkraft der kleinen Bodybuilding-Division nicht an die offen Klasse heranreicht.

Autorin: Ulrike Hacker

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