Der amtierende 212er-Champ Derek Lunsford erhielt einen Special Invite und darf in diesem Jahr ohne Qualifikation in der offenen Klasse starten. Durch diese Entscheidung entstand in der kleineren Männer-Klasse ein Vakuum, das in einem hochkarätigen Kampf gefüllt werden wird. Mit Shaun Clardia und Kamal Elgargni erheben gleich zwei ehemalige Sieger des Mr. Olympias Anspruch auf den Thron. Der Kreis an möglichen Favoriten ist jedoch deutlich größer, so dass es in der 212er Division mehr als nur einen Zweikampf geben wird.
Leichtgewichte beim Mr. Olympia
Der Mr. Olympia wurde vor fast 60 Jahren von Joe Weider ins Leben gerufen und war zunächst Bodybuildern vorbehalten, die bereits den Mr. Universe Titel gewinnen konnten. Es sollte ein Wettkampf zwischen den Besten der Besten sein, was in der Konsequenz zu einem sehr überschaubaren Teilnehmerfeld in den ersten Jahren führte. Erst beim achten Durchlauf standen mindestens fünf Athleten beim Mr. Olympia auf der Bühne. In den Jahren zuvor kam es dagegen sogar zu zwei Wettbewerben, bei denen der Titel kampflos an den späteren Sieger ging.
Mitte der 1970er erfolgte dennoch bereits die erste Einteilung in Gewichtsklassen beim Mr. Olympia. Während es im Schwergewicht keine Grenze gab, durften die Athleten im Leichtgewicht maximal 200 Pfund auf die Bühne bringen. Die Gewinner der jeweiligen Klassen traten schließlich im Gesamtsiegerstechen gegeneinander an, wobei es keinesfalls so war, dass die leichteren Athleten zwangsläufig im Nachteil waren.
Nachdem Franco Columbo im Gesamtsiegerstechen zweimal Arnold Schwarzenegger unterlag, konnte er sich in dessen Abwesenheit 1976 gegen Ken Waller durchsetzen, der zuvor das Schwergewicht gewann. In den darauffolgenden Jahren musste Robby Robinson sich zweimal Frank Zane geschlagen geben, der 1979 schließlich auch den Schwergewichtler Mike Mentzer schlug. In den 1980er wurde die Klassenaufteilung wieder zurückgenommen, bevor das Konzept 28 Jahre später ein Comeback feierte.
Der Ursprung der 212er-Klasse
Zunächst lag das Gewichtslimit der erneut eingeführten leichteren Gewichtsklasse bei 202 Pfund und David Henry sollte sich als erster Sieger in die Geschichtsbücher eintragen dürfen. Vier Jahre später wurde die Grenze auf die bis heute gültigen 212 Pfund angehoben, die umgerechnet knapp 96,6 Kilogramm entsprechen. Der Grund lag insbesondere darin, dass die Top-Athleten Schwierigkeiten hatten, sich in die Klasse zu pressen.
Das Anheben um 10 Pfund gab nicht nur Spielraum für mehr Muskelmasse, sondern führte auch zu einem Wechsel an der Spitze der Leichtgewichtsklasse. Konnte Kevin English zuvor viermal in Folge den Titel gewinnen, kannte die 212er-Klasse in den ersten sieben Jahren nur einen Gewinner: Flex Lewis.
Der Waliser strebte ursprünglich den Wechsel in die offene Klasse an, musste inzwischen aufgrund von Verletzungen aber seine Wettkampfkarriere beenden. Den obersten Platz auf dem Podest erlangten in den Folgejahren verschiedene Athleten. Niemand dominierte die 212er mehr so deutlich, wie ein Flex Lewis oder in den 202er-Zeiten ein Kevin English. Nachdem zunächst der in Libyen geborene Kamal Elgargni gewann, setzte sich 2020 der US-Amerikaner Shaun Clarida durch. Derek Lunsford, der im Vorjahr noch Vierter in der 212er wurde, siegte schließlich im letzten Jahr und macht den Platz in diesem Jahr durch seinen Wechsel in die offene Klasse frei.
Kampf der Champions: Shaun Clarida vs. Kamal Elgargni
Die beiden großen Namen, welche als Favoriten um den Sieg in der 212er-Klasse beim diesjährigen Mr. Olympia ins Rennen gehen, stehen damit fest. Siegessicher sollte jedoch keiner der beiden Athleten sein.
Kamal Elgargni
Der in Libyen geborene Kamal Elgargni trat in den 2000er für Katar an und gewann bereits 2005 bei den World Games die Goldmedaille in der bis 85-Kilogramm-Klasse. Bei den Panarabischen Spielen 2011 konnte Elgargni zunächst die Goldmedaille in der bis 90-Kilogramm-Klasse gewinnen, wurde jedoch ebenso wie neun weitere Athleten des Dopings überführt und musste seinen Titel abgeben.
Bei der IFBB sorgte Kamal Elgargni ab 2018 für Aufsehen. Nachdem er zunächst die Arnold Classic in der 212er-Klasse gewann, wurde er bei seinem ersten Mr. Olympia Dritter, bevor er sich im Folgejahr den Titel sichern konnte. In 2022 trat der 212er-Profi sowohl auf der Tampa Pro als auch der Texas Pro in der offenen Klasse an und zeigte sich durchaus konkurrenzfähig. In Tampa musste sich Kamal Elgargni lediglich Akim Williams geschlagen geben und ließ unter anderem Tim Budesheim hinter sich. Dennoch machte der fast 50-Jährige stets klar, dass sein Fokus auf dem Titelgewinn in der 212er-Klasse beim Mr. Olympia 2022 liegen würde.
Shaun Clarida
Der weniger als 160 cm große Shaun Clarida qualifizierte sich mit einem Sieg auf dem Legion Sports Fest in Nevada für die offene Klasse beim Mr. Olympia 2022 und liebäugelte bis zum Schluss mit einem Doppelstart. Nachdem ihm dieser jedoch nicht gewährt wurde, kündigte der ehemalige 212er-Champ Mitte November eine Entscheidung an, die streng genommen nie eine war. Wie zu erwarten, gab Shaun Clarida bekannt, auf seinen Antritt in der offenen Klasse zu verzichten und stattdessen seinen zweiten Olympia-Titel gewinnen zu wollen.
Der auch als „Giant Killer“ bekannte Athlet wiegt deutlich weniger als 200 Pfund und wäre in der offenen Klasse gegen Top-Profis schlichtweg untergegangen. In der 212er-Klasse hat der US-Amerikaner dagegen realistische Titelchancen. Schließlich ließ er bereits zweimal Kamal Elgargni hinter sich. Doch selbst, wenn ihm dies in diesem Jahr ein drittes Mal gelingen sollte, würde das nicht zwangsläufig den Olympia-Titel bedeuten.
Weitere Titelanwärter in der 212er-Klasse beim Mr. Olympia 2022
Über 30 Athleten sind in diesem Jahr für die 212er-Klasse qualifiziert. Während ein Veteran wie David Henry sich zuletzt schon gegen die Konkurrenz geschlagen geben musste und ein Peter Molnar eine gewisse Ästhetik in der 212er bringen, aber keine Gefahr für die Spitze sein wird, dürften sich andere Athleten deutlich größere Chancen auf einen Sieg beim Mr. Olympia 2022 ausrechnen.
Angel Calderon
Der Spanier Angel Calderon konnte sich ebenso wie Shaun Clardia als 212er-Athlet für die offene Klasse qualifizieren. Vor heimischen Publikum verwies er unter anderem den Deutschen Emir Omeragic auf den zweiten Platz, der damit nur knapp an der Olympia-Qualifikation vorbeischrammte.
Angel Calderon selbst konnte sich im letzten Jahr bis auf den vierten Platz vorkämpfen und der ehemalige Champ Derek Lunsford sieht in dem Spanier die härteste Konkurrenz, wenn es darum geht, den Sieger in der 212-Klasse zu küren.
Keone Pearson
Ein Name, der in den letzten Wochen zunehmend genannt wird, wenn es um einen Wachwechsel in der 212er-Klasse geht, ist Keone Pearson. Der US-Amerikaner begann seine Profi-Karriere in der Classic Physique und konnte 2019 sowohl auf der Arnold Classic als auch dem Mr. Olympia den vierten Platz erreichen. Nach dem Wechsel in die 212er-Klasse zahlte der fraglos sehr ästhetische Athlet reichlich Lehrgeld. Trotz des Sieges auf der Chicago Pro reichte es beim Mr. Olympia 2021 nur für den 14. Platz in der 212er.
Die Enttäuschung wird zweifelsfrei der Grund gewesen sein, dass Keaone Pearson daraufhin ursprünglich im November 2021 angekündigte, in die Classic Physique zurückzuwechseln. Daraus wurde jedoch nichts. Entgegen der Ankündigung trat Keaone Pearson bei der diesjährigen Tampa Pro erneut in der 212er an und gewann die Klasse. Auf den zweiten Platz verwies er Kerrith Bajjo, der im Vorjahr beim Mr. Olympia noch den achten Platz erreichen konnte. Ob dies ein gutes Omen ist und der hoch veranlagte Athlet in diesem Jahr auf der Wettkampfbühne nicht übersehen wird, werden wir in wenigen Tagen wissen.
Ahmad Ashkanani
Der in Kuwait geborene Ahmad Ashkanani ist seit 2016 ein Dauerbrenner in der 212er-Klasse und konnte sich zweimal den Vize-Titel hinter Flex Lewis sichern. Auch wenn der sechste Platz beim letztjährigen Mr. Olympia das schlechteste Ergebnis seiner Profi-Karriere für den Araber war, sollte man nicht den Fehler begehen, und die Rechnung ohne Ahmad Ashkanani machen.
Nachdem er sich 2021 auf der Prag Pro für den Mr. Olympia 2022 qualifizieren konnte, musste er sich wenig später beim Romania Muscle Fest Pro 2021 nur dem Spanier Angel Calderon geschlagen geben, der daraufhin in Spanien einen Ausflug in die offenen Klasse machte. Beim Mr. Olympia 2022 werden die beiden Athleten ihre Blicke nicht aufeinander richten, sondern um den Titel mitkämpfen.
Ping Yunlong
Der Chinese Ping Yunlong zählt neben Keaone Pearson zu den ästhetischsten Athleten in der 212er-Klasse und holte sich bei seinem Profi-Debut auf der Thailand Pro sofort das Ticket für den Mr. Olympia 2022. Der Asiate wird damit erstmals beim Mr. Olympia an den Start gehen und um den Titel kämpfen.
Je nachdem wie die Judges die kleine Klasse in Zukunft ausrichten wollen, könnte sich Ping Yunlong trotz seiner Nationalität weit vorne platzieren. Der Sieg eines Chinesen beim Mr. Olympia wäre definitiv eine Sensation, aber vielleicht gerade deshalb ist für Ping Yunlong alles möglich.
Die 212er wird so spannend wie nie
Wie schon in der offenen Klasse sowie der Classic Physique kündigt sich auch in der 212er-Klasse ein harter und gleichzeitig spannender Wettkampf beim Mr. Olympia 2022 an. Die Leichtgewichte bekamen in der Vergangenheit oftmals weniger Aufmerksamkeit als die schweren Jungs. Insbesondere nach dem Rücktritt von Flex Lewis verlor die 212er ein prominentes Aushängeschild. Doch gerade in Zeiten von Massemonstern im Profi-Bodybuilding, die nicht jedermanns Geschmack treffen, lohnt ein Blick auf die 212er, in der sich Athleten mit einer hervorragenden Konditionierung und inzwischen auch zunehmend guter Linie versammeln.
Autor: Dr. Frank-Holger Acker | Titelbild: Instagram-Profile der Athleten