In weniger als einem Monat findet der Mr. Olympia 2022 in Las Vegas statt. Während in der offenen Klasse fast alle Beobachter mit einem Sieg des alten Champs rechnen, sind die Erwartungen an die Classic Physique andere. Der amtierende Mr. Olympia Chris Bumstead geht als Favorit ins Rennen um den Titel, doch in kaum einer Klasse ist das Feld an Konkurrenten, die dem amtierenden Sieger gefährlich werden könnten, so groß. Gleichzeitig wird bei den über 60 qualifizierten Classic Physique Athleten kaum jemand einen Überblick besitzen. Der folgende Artikel stellt den Versuch einer Prognose dar.
Danny Hester: der vergessene Champ
Die Classic Physique ist eine der neueren Klassen beim Mr. Olympia. Nach der Einführung im Jahr 2016 folgten nur noch die Wheelchair Division in 2018 sowie die Wellness-Klasse in 2021. Ein Name, der streng genommen nie aus den Bodybuilding-Geschichtsbüchern gestrichen werden kann und dennoch fast in Vergessenheit geraten ist, lautete Danny Hester. Ihm gelang vor sieben Jahren der erste Sieg der gänzlich neu geschaffenen Klasse, die damals noch in einer gewissen Findungsphase war.
Fast schon demütigend ist der weitere Karriereverlauf des einstigen Siegers. Nach einem fünften Platz im Folgejahr reichte es 2018 und 2019 jeweils sogar nur noch für den 12. Platz in der Classic Physique. Danach beendete Danny Hester seine aktive Wettkampf-Karriere und ist heute als Coach aktiv.
Abgelöst wurde Danny Hester damals von Breon Ansley, der den Titel zumindest einmal verteidigen konnte, bevor er diesen an seinen härtesten Konkurrenz Chris Bumstead verlor. Der Kanadier konnte seitdem drei Titel in Folge gewinnen und strebt in diesem Jahr nach dem vierten Titelgewinn. Doch das Leistungsniveau der Classic Physique ist inzwischen wohl so dicht, wie noch nie. Der Druck auf Chris Bumstead ist enorm, wie er selbst öffentlich einräumte, und die Zahl der Titelaspiranten so groß wie in vielleicht keiner anderen Klasse.
Die letztjährige Top 5: Chris Bumstead kein sicherer Sieger?
Wenn es um den Sieg in der Classic Phyisque in diesem Jahr geht, sind die Augen insbesondere auf die letztjährige Top 5 gerichtet. Ein genauerer Blick verrät, dass die Karten in diesem Jahr in jedem Fall neu gemischt werden!
Chris Bumstead
Chris Bumstead hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Nach einer Corona-Erkrankung und einem Burnout kämpfte sich der Kanadier zurück und konnte augenscheinlich planmäßig in die Vorbereitung starten. Dennoch war es die letzten Monate keinesfalls ruhig um den amtierenden Champion.
Insbesondere der Wechsel des Vorbereiters sorgte für Aufmerksamkeit. Während die bisherigen Wettkämpfe unter der Betreuung seines Schwagers Iain Vailliere stattfanden, wechselte Chris Bumstead wenige Wochen vor dem Mr. Olympia 2022 zu Hany Rambod. Dieser konnte bereits diverse Athleten zum Olympia-Titel führen. Chris Bumstead wäre sein erster Sieger in der Classic Phyisque.
Terrence Ruffin
Auf dem Papier ist Terrence Ruffin in diesem Jahr der größte Herausforderer. Dass es soweit einmal kommen würde, war vor ein paar Jahren keinesfalls absehbar. Nachdem Terrence Ruffin bei der Einführung der Classic Physique noch den neunten Platz belegte, folgten ein sechster und erneut ein neunter Platz. In 2020 schob sich der US-Amerikaner dann erstmals auf den zweiten Platz, nachdem er 2019 eine Auszeit von Mr. Olympia genommen hatte.
Während Terrence Ruffin sich bei der Arnold Classic 2020 noch Alex Cambronero geschlagen geben musste, führte seitdem praktisch kein Weg mehr an Terrence Ruffin vorbei. Einzig Chris Bumstead schlug den Vize-Champ zuletzt zweimal auf dem Mr. Olympia. Die Arnold Classic 2021 und 2022 ging dagegen in Abwesenheit des Kanadiers an Terrence Ruffin.
Breon Ansley
Während der Abstand zwischen Bumstead und Ruffin in diesem Jahr vielleicht so gering wie noch nie sein wird, hat ein anderer ehemaliger Champ deutlich an Boden verloren. Breon Ansley trat 2017 die Nachfolge von Danny Hester an und konnte sich zweimal auf dem Mr. Olympia gegen Chris Bumstead durchsetzen. Ein drittes Mal gelang es dem US-Amerikaner nicht und in diesem Jahr droht Breon Ansley sogar das Ausscheiden aus der Top 5.
Bereits seit 2020 werden Diskussionen darüber geführt, ob der zweifache Classic-Sieger in die 212er zurückwechseln würde. Selbst Chris Bumstead empfahl seinem Konkurrenten bereits diese Entscheidung, was Breon Ansley zunächst jedoch nicht in Betracht zog. Zuletzt kündigte der über 40-Jährige an, ein letztes Mal in der Classic Physique zu starten. Nachdem er es auf der Arnold Classic 2022 jedoch in Abwesenheit von Chris Bumstead nur noch auf dem vierten Platz schaffte, ist fraglich, ob der Kalifornier bei seinem letzten Auftritt in der Classic Physique eine absolute Top-Platzierung erreichen wird.
Urs Kalecinski
Seitdem Urs Kalecinski bei seinem Olympia-Debut sofort die Top 5 knacken konnte, ist ihm internationale Aufmerksamkeit gewiss. Den erstmaligen Erfolg bestätigte der Wahl-Berliner mit seinem dritten Platz auf der Arnold Classic 2022, auf der er sich bereits an Breon Ansley vorbeischieben konnte. Dass ihm dies in Las Vegas erneut gelingt, sollte in jedem Fall der Anspruch des jungen Classic Physique Athleten sein.
Urs Kalecinski selbst gibt sich öffentlich bescheiden und weiß dennoch mit seiner Ausstrahlung Fans weltweit auf seine Seite zu ziehen. Verschiedene Trainings mit US-Athleten sowie dem amtierenden Champ Chris Bumstead förderten zudem die internationale Aufmerksamkeit bezüglich seiner Person.
Nachdem er zwischen Olympia und Arnolds keine echte Offseason hatte, startete der Classic Physique Athlet seine Aufbauphase und begann die Olympia-Prep 10 Kilogramm schwerer als noch im Jahr zuvor. Bezüglich seiner Fortschritte gab Urs Kalecinski selbst an, dass der Rücken und die Arme sich am stärksten verbessert hätten. Der wichtigste Fortschritt sei jedoch die mentale Stärkung in den letzten Monaten gewesen.
Ein Sieg auf dem Mr. Olympia wäre in diesem Jahr eine faustdicke Überraschung. Dafür ist die Konkurrenz noch zu stark und der Deutsche gemäß seines Coaches Stefan Kienzl auch noch nicht an seinem eigenen Limit. Ein erneutes Erreichen der Top 5 sowie eine Verkleinerung des Abstandes zum Sieger dürfen Fans allerdings von Urs Kalecinski erwarten.
Ramon Rocha Queiroz
Ähnlich wie Urs Kalecinski kam auch der Brasilianer Ramon Rocha Queiroz wie aus dem Nichts. Nachdem er bereits 2018 auf dem Mr. Olympia Amateur Brazil seine Pro Card gewonnen hatte, nahm der Südamerikaner sich drei Jahre für sein Pro-Debut Zeit. Der erste Wettkampf war die unmittelbare Qualifikation für den Mr. Olympia 2021, auf dem er auf Anhieb die Top 5 knackte.
Bereits vor einem Jahr war der Brasilianer Urs Kalecinski dicht auf den Fersen und konnte auf der Arnold Classic 2022 am Deutschen vorbeiziehen. Letzte Updates sind erneut vielversprechend, so dass Ramon Rocha Queiroz sich weiter nach oben orientieren wird. Bereits auf dem Mr. Olympia 2021 suchte der Südamerikaner den direkten Vergleich zum Sieger Chris Bumstead. Es wäre durchaus möglich, dass die Judges ihm diesen beim Mr. Olympia 2022 nicht nur im Rahmen des Posedowns ermöglichen.
Wer kann der Top 5 in der Classic Physique gefährlich werden?
In einem Feld von über 60 qualifizierten Athleten wird nicht nur das Erreichen der Top 5 ein Kampf werden, sondern allein die Berücksichtigung für einen der ersten beiden Call Outs zur Herausforderung. In Anbetracht der unglaublichen Leistungsdichte ist das Endergebnis in wohl keiner Klasse so unvorhersehbar wie in der Classic Physique. Die folgende Auflistung soll sich daher auf Athleten konzentrieren, die aus unterschiedlichen Gründen in der Vergangenheit bereits im Fokus waren und es (erneut) in die Top 5 auf dem Mr. Olympia 2022 schaffen könnten.
Alex Cambronero
Der wohl größte Erfolg seiner Karriere war für Alex Cambronero der Sieg auf der Arnold Classic 2020. Dennoch konnte der Classic Phyisque Athlet aus Costa Rica diesen Erfolg nicht als Rückenwind für die weitere Karriere nutzen. Auf dem Mr. Olympia 2020 wurde es lediglich ein vierter Platz und im letzten Jahr drängten Urs Kalecinski und Ramon Rocha Queiroz an Alex Cambronero vorbei.
Ähnlich wie Breon Ansley muss der Zentralamerikaner seinen Blick eher nach unten als nach oben richten, wenn es darum geht, die Konkurrenz in Schach zu halten. In Anbetracht der hohen Leistungsdichte und den weiteren Athleten, die beim Mr. Olympia 2022 weit nach vorne wollen, wäre es keine Überraschung, wenn Alex Cambronero beim diesjährigen Wettkampf erneut schlechter platziert sein wird.
Mike Sommerfeld
Auf dem siebten Platz folgte im letzten Jahr bei seinem Olympia-Debut bereits Mike Sommerfeld. Der zurzeit in Mexiko lebende Athlet hat einerseits eine der begnadetsten Linie des gesamten Starterfeldes und gleichzeitig das Manko, nie die letzte Wettkampfhärte erreicht zu haben. Als Grund führt das in Heidelberg geborene Bodybuilding-Talent stets seine Krankheit an, die ihn in seinen Möglichkeiten im Vergleich zu anderen Konkurrenten einschränken würde.
Gleichzeitig kündigte der Classic Physique Athlet an, in diesem Jahr alles für den Mr. Olympia 2022 geben zu wollen. In Anbetracht der starken Konkurrenz sowie der Tatsache, dass Mike Sommerfeld eher unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung fliegt, wird das Knacken der Top 5 schwierig werden. Aus deutscher Sicht ist Mike Sommerfeld nur das Beste zu wünschen.
Um auf dem Mr. Olympia 2022 aber erneut so weit vorne zu landen, darf der Ende 20-Jährige sich keine Schwäche erlauben und sollte die Form vom vergangenen Jahr nochmals übertreffen. Andererseits könnte es dazu kommen, dass die Konkurrenz am hochveranlagten Athlet vorbeizieht.
Fabian Mayr
Einer der Kandidaten, die beim diesjährigen Mr. Olympia deutlich höher platziert werden könnten, ist der Österreicher Fabian Mayr. Die beeindruckenden Updates des Classic Physique Athleten blieben auch bei us-amerikanischen Medien nicht unbemerkt. Die bisherigen Formupdates sprechen dafür, dass der Athlet aus der Alpenrepublik sich keine Schwäche erlauben und mindestens so gut wie im Vorjahr auf der Bühne stehen wird.
Sollte sich dies bewahrheiten und sich ein Vergleich mit Athleten aus der Top 5 bereits im Rahmen des Line Ups ermöglichen, ist mit Fabian Mayr in jedem Fall zu rechnen. Eine bessere Platzierung als noch im letzten Jahr wäre zumindest keine Überraschung.
Neil Currey
Ein Name, der zumindest die Top 10 in diesem Jahr durcheinanderbringen könnte, ist Neil Currey. Nachdem der US-Amerikaner im letzten Jahr die Olympia-Qualifikation noch verpasste und unter anderem auf der Tampa Pro 2021 hinter Urs Kalecinski den zweiten Platz belegte, gelang Neil Currey in diesem Jahr in New York die Olympia-Qualifikation.
Bei seinem Sieg ließ Neil Currey unter anderem Alexander Westermeier hinter sich, der sich bei seinem IFBB Professionell League Debut in Pittsburgh noch vor Neil Currey platzieren konnte. New York wird vom IFBB Head Judge Steve Weinberger promotet, so dass der Sieg im Big Apple eine gewisse Aufmerksamkeit bei der Jury am Olympia-Wochenende ermöglichen könnte. Ein möglicher Bonus, der in einem Feld von dutzenden Athleten nicht zu unterschätzen wäre.
Chen Kang
Der Chinese Chen Kang erreichte bei seinem letzten Mr. Olympia im Jahr 2019 den fünften Platz. Nachdem sich der asiatische Ausnahmeathlet auf der Vancouver Pro erneut für den Mr. Olympia qualifizieren konnte, wurde kürzlich klar, dass das notwendige Visum ausgestellt wurde und Chen Kang somit in Las Vegas an den Start gehen kann.
Der Asiate mit dem Spitznamen „Branch“ beeindruckt mit dominanten Beinen, die nach den aktuellen Wertungskriterien zu prägnant sein könnten. Dennoch wird die Rückkehr von Cheng Kang auf die Olympia-Bühne höchst interessant. Wie weit der Chinese es nach vorne schafft bzw. wieviel Aufmerksamkeit die Jury ihm schenken wird, wird sicherlich auch davon abhängen, wo der Classic Physique Athlet im Line Up positioniert sein wird.
Ein anderer Debütant?
Um die 50 Athleten, die in diesem Jahr ein Ticket für den Mr. Olympia 2022 in der Classic Physique lösen konnten, waren im letzten Jahr nicht beim Mr. Olympia vertreten. Kaum einer der qualifizierten Athleten stellte sich der unmittelbaren Konkurrenz auf einem weiteren Wettkampf, nachdem die Qualifikation für Las Vegas sicher war, so dass eine Einschätzung, wer den ersten oder zweiten Call Out sprengen könnte, nur schwer zu geben ist.
Aus deutscher Sicht sollte man sich zumindest darauf einstellen, dass Alexander Westermeier bei seinem ersten Mr. Olympia nicht in ähnliche Regionen wie Mike Sommerfeld oder Urs Kalecinski vorschießen wird. Die Nachbarn aus den Niederlanden werden darüber hinaus Wesley Vissers die Daumen drücken. Der Classic Phyisque Athlet kämpfte sich die letzten beiden Jahre auf den 11. Platz und würde in diesem Jahr gerne die Top 10 knacken. In Anbetracht des großen und starken Teilnehmerfeldes dürfte dieses Unterfangen aber schwerer als schon in den Jahren zuvor sein.
Autor: Dr. Frank-Holger Acker | Titelbild: Instagram-Account der Athleten